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2. Mai 2017

Blog

Nein zum Grossangriff auf das Arbeitsgesetz!

Rechtsbürgerliche Initiativen im Parlament bedrohen die geregelten Arbeitszeiten von mindestens 500'000 Lohnabhängigen. 



Die wichtigste rechtliche Grundlage produktiver wirtschaftlicher Tätigkeit ist und bleibt der Arbeitsvertrag. Der Arbeitsvertrag beruht entscheidend auf der Regelung von Arbeitszeit und Lohn. Arbeitszeit, die nicht entlohnt wird, bedeutet Gratisarbeit. Das aber widerspricht den zentralen Grundlagen des Arbeitsverhältnisses.

Die Grenzen der Arbeitszeit sind insbesondere in den Schutzbestimmungen des Arbeitsgesetzes festgeschrieben. Das Arbeitsgesetz sorgt für den elementaren Schutz der Lohnarbeit. Seit dem Glarner Fabrikgesetz von 1864 und dem schweizerischen Fabrikgesetz von 1877 – schweizerische Pioniertaten – ist das Arbeitsgesetz als historische Errungenschaft des modernen Sozialstaats unverzichtbar.

Was die parlamentarischen Initiativen Graber und Keller-Sutter vom März 2016 beabsichtigen, ist nicht weniger als ein Grossangriff auf das bewährte Arbeitsgesetz, wie ihn die Schweiz bis heute nicht gesehen hat. Von den Schutzbestimmungen zur Arbeitszeit sollen neu sogenannte Fachspezialisten und Kader ausgenommen werden. Nach den Statistiken haben rund 34 Prozent der Beschäftigten eine Kaderfunktion (von der Unternehmensleitung bis hin zu Vorgesetztenfunktionen in Betrieben). Wenn unter Fachspezialisten Personen mit einem Tertiärabschluss verstanden werden (Hochschulen oder höhere Berufsbildung), beträgt der Anteil an den Beschäftigten zwischen 25 und 64 Jahren sogar rund 40 Prozent. Die NZZ geht gestützt auf Unterlagen der Initianten davon aus, dass neu mindestens 500‘000 Lohnabhängige in der Schweiz keine geregelten Arbeitszeiten mehr kennen würden. 

Der Grossangriff der Initianten und der Kreise, die hinter ihnen stehen, ist umso unverständlicher, als die Arbeitszeiten und die Intensität der Arbeit in der Schweiz im internationalen Vergleich schon heute sehr hoch sind. Niemand kann behaupten, dass die Schweizerinnen und Schweizer unabhängig von der beruflichen Stellung zu wenig arbeiten würden. Nötig wäre deshalb wenn schon nicht ein Abbau und oder gar Abbruch der Schutzbestimmungen, sondern eine Anpassung des Schutzes an neue Herausforderungen. Zu denken ist dabei etwa an der Schutz vor stressbedingten Erkrankungen, der insbesondere durch Arbeitszeitvorschriften gewährleistet wird, aber auch an die Vereinbarkeit von Familie und Arbeit, die eine heute oft nur ungenügend gewährleistete Planbarkeit der Arbeit voraussetzt.

Was die Arbeitszeiterfassung betrifft, haben sich die Gewerkschaften einer Modernisierung der Regeln im Rahmen des geltenden Arbeitsgesetzes nie verschlossen, sofern dabei die Interessen der Lohnabhängigen und der Schutz durch das Gesetz gewahrt werden. Ausdruck davon war die auf Vorschlag des Vorstehers des Volkswirtschaftsdepartementes zustande gekommene Einigung der Spitzenverbände der Sozialpartner über eine Vereinfachung der Arbeitszeiterfassung durch die neuen Art. 73a und Art. 73b der ArGV1. Diese neuen Bestimmungen, die per 1. Januar 2016 in Kraft getreten sind, haben in der Praxis eine grosse Dynamik erzeugt, indem bereits über zehn gesamtarbeitsvertragliche Regelungen abgeschlossen wurden. Dem Pilotvertrag in der Finanzbranche haben sich inzwischen auch Unternehmen aus Kreisen angeschlossen, welche hinter den beiden parlamentarischen Initiativen stehen (Beispiel Versicherungskonzerne). Umso weniger verständlich sind die parlamentarischen Frontalangriffe auf das Arbeitsgesetz, die praktisch zeitgleich mit dem Inkrafttreten der neuen Verordnungsbestimmungen lanciert wurden. Und noch bevor eine erste seriöse Evaluation der neuen Regeln überhaupt möglich ist.

Die technologischen Entwicklungen sind im Übrigen kein Grund, sich von bewährten Regeln der Arbeitszeiterfassung zu verabschieden. Im Gegenteil: Die Digitalisierung hat die Erfassung der Arbeitszeit gegenüber früher stark vereinfacht. Beispiele praktikabler Regeln finden sich auch in Branchen, in denen man dies vielleicht nicht erwarten würde, wie dem Gastgewerbe. Technische Lösungen ohne Aufwand sind für alle Branchen problemlos möglich.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die konzentrierten und koordinierten Angriffe auf das Arbeitsgesetz zu Beginn der Legislatur unter dem Eindruck des rechtsbürgerlichen Wahlsiegs von Ende 2015 lanciert wurden („bürgerlicher Schulterschluss“). Gleichzeitig mit den steuerpolitischen Vorstellungen, die nun am 8. Februar 2017 mit der USR III einen kapitalen Schiffbruch erlitten haben.

Weil der Grossangriff auf das Arbeitsgesetz durch die geschlossene bürgerliche Unterstützung der Initiativen in den Wirtschaftskommissionen beider Räte jetzt in eine entscheidende parlamentarische Phase kommt, machen die Gewerkschaften frühzeitig klar, dass sie diese antisoziale Politik mit allen Mitteln unter Einschluss des Referendums bekämpfen werden.


Dies ist der Redebeitrag von Paul Rechsteiner an der Medienkonferenz der Gewerkschaften. Die weiteren Beiträge finden Sie hier.