Die Schweiz feiert 2023 das 175-Jahr-Jubiläum der Bundesverfassung. Im Aufbruchsjahr 1848 war die Schweiz das einzige Land in Europa, in dem die demokratische Revolution erfolgreich war. Dank der Verfassung von 1848 ist die Schweiz die zweitälteste Demokratie der Welt, nach den USA, und die älteste in Europa. Die Schweiz war damals eine Vorreiterin der demokratischen Rechte. Zu Recht war sie stolz darauf. Das Versprechen der Rechtsgleichheit – gleiche Rechte für alle Menschen – war stärker als die Mängel und Einschränkungen, die der Verfassung von 1848 noch anhafteten.
So fortschrittlich die Schweizer Demokratie im 19. Jahrhundert im internationalen Vergleich war, so stark geriet sie im 20. Jahrhundert in Rückstand. Verantwortlich dafür war in erster Linie die Verweigerung des Stimm- und Wahlrechts der Frauen durch die Männerdemokratie. Erst 1971 erfolgte mit dem Frauenstimmrecht ein Demokratisierungsschub.
Heute steht die Schweiz erneut vor einer grossen demokratiepolitischen Herausforderung. Mehr als ein Viertel der ständigen Wohnbevölkerung verfügt nicht über demokratische Rechte. Grund dafür ist die wirtschaftliche Dynamik: Wie alle wirtschaftlich erfolgreichen Länder ist die einst arme Schweiz seit langem ein Einwanderungsland. Die hohen Hürden für die Einbürgerung verhindern die vollwertige Teilhabe von inzwischen über zwei Millionen Menschen. Viele von ihnen sind hier geboren und aufgewachsen. Das steht in krassem Widerspruch zum demokratischen Selbstverständnis der Schweiz. Die gesamte schweizerische Wohnbevölkerung zählt für die Berechnung der Nationalratssitze (Art. 149 BV). Wahlberechtigt sind aber weniger als drei Viertel davon.
Das Bürgerrecht ist ein Schlüssel-Recht: Es ist die Voraussetzung für zahlreiche elementare Rechte. Nicht nur für die demokratische Teilhabe, das Stimmrecht und das aktive und passive Wahlrecht. Sondern auch für den Schutz vor Ausweisung und Auslieferung. Das Recht auf Heimat gehört zu den elementaren Rechten. Das Bürgerrecht ist die Garantie dafür.
Die Demokratie-Initiative der Aktion Vierviertel – sie fordert einen Anspruch auf Einbürgerung für alle, die seit fünf Jahren in der Schweiz leben und objektive Kriterien erfüllen – schlägt ein neues Kapitel auf. Mit dem Verfassungsjubiläum exakt zum richtigen Zeitpunkt. Zu einer stolzen Demokratie gehört ein Bürgerrecht, das nicht verhindert, sondern dafür sorgt, dass die Menschen, die zur ständigen Wohnbevölkerung gehören, auch als vollwertige Bürgerinnen und Bürger anerkannt werden.
Demokratiepolitische Fortschritte kamen nie von selbst. Auch die Öffnung des Bürgerrechts für alle, die zur Schweizer Wohnbevölkerung gehören, muss erkämpft werden. So wie der Bundesstaat von 1848 das Ergebnis von Kämpfen zwischen jenen war, welche die Schweiz auf eine neue, demokratische Grundlage stellen wollten, auf der Basis gleicher Rechte für alle und der Abschaffung der Untertanenverhältnisse, und den reaktionären Kräften, die alles beim Alten belassen wollten.
Eröffnen wir also diesen Kampf für die demokratische Schweiz – und gegen den Ausschluss eines immer grösseren Teils der Bevölkerung von elementaren Rechten. Auf dem Spiel steht nicht weniger als die Zukunft der Schweiz des 21. Jahrhunderts.
23. Mai 2023
Blog
Es geht um die Zukunft der Schweiz
Die Demokratie-Initiative fordert ein elementares Recht: Wer ständig hier lebt, soll als vollwertige Bürgerin oder Bürger anerkannt werden.