Die Bahnpolitik der Schweiz der letzten 30 Jahre ist eine Erfolgsgeschichte. Stichworte sind Bahn 2000, der Taktfahrplan, die Grossinvestitionen in die Infrastruktur wie Neat und Fabi und nicht zuletzt die durch die Alpeninitiative eingeleitete Verlagerungspolitik. Alles Entscheide, die mit klaren Volksmehrheiten zustande gekommen sind und heute dafür verantwortlich sind, dass wir im europäischen und internationalen Vergleich über einen sehr gut ausgebauten öffentlichen Verkehr verfügen. Und der öffentliche Verkehr nach den Jahrzehnten des Strassen- und Autobahnbaus wieder einen höheren Stellenwert hat.
Diese erfolgreiche Bahnpolitik ist auch das Resultat davon, dass die Schweiz die Liberalisierungspolitik der EU im Personenverkehr und insbesondere das dritte und vierte Eisenbahnpaket der EU nicht übernommen hat. Das was die Schweiz in den neunziger Jahren gemacht hat, war mit Bahn 2000, mit dem Taktfahrplan samt perfekt funktionierenden Anschlüssen und dem Prinzip von «ein Fahrplan, ein Tarif, ein Preis» nämlich das exakte Gegenteil von dem, was in der EU propagiert wurde.
Im Schienenfernverkehr setzte und setzt die Schweiz in dieser Logik mit Erfolg auf das Modell der integrierten Bahn. Konkret bedeutet das, dass es Aufgabe der SBB ist, leistungsfähige überregionale Bahnverbindungen für unser Land bereitzustellen. Die Stärke des schweizerischen Modells ist seit der Gründung der Schweizerischen Bundesbahnen – dank den Freisinnigen des 19. Jahrhunderts – das leistungsstarke Netz aus einer Hand, nicht die Zersplitterung wie in den Gründungsjahrzehnten der Eisenbahn. Massgebend dafür waren und sind nicht ideologische Vorstellungen, sondern die Prinzipien von Effizienz und guter Service Public.
Von dem geht auch die heutige Rechtslage nach dem Personenbeförderungsgesetz aus. Entscheidend ist für die Konzession nach dem heutigen Recht die wirtschaftliche und zweckmässige Erbringung des Verkehrsangebotes. Nie bestand anlässlich der Bahnreform von 1996 die Vorstellung, in ein Konkurrenz- oder Wettbewerbssystem zu wechseln.
Dass es im Konzessionsverfahren nach der heutigen Gesetzgebung nicht um Wettbewerb und Konkurrenz gehen kann, zeigt auch das Verfahren. Das Konzessionsgesuch muss spätestens drei Monate vor dem Start des Bahnbetriebs eingereicht werden. Wie kann man bei einem solchen Verfahren behaupten, dass es um die Förderung der Konkurrenz und des Wettbewerbs geht? Bei den gewaltigen Investitionen, die im Bahnbetrieb nötig sind, vom Rollmaterial bis hin zur Logistik und dem Personal?
Leider ist die Antwort auf die Interpellation nicht auf der Höhe der gestellten und der sich stellenden Fragen. Ausgeblendet wird nicht nur die Rechtslage. Ausgeblendet werden auch die Folgen für das Bundesunternehmen SBB und für die BLS und SOB, an denen doch der Bund auch massgebend beteiligt ist. Nicht nur nach der Eisenbahngesetzgebung, sondern auch dem Bund als Eigner stellen sich Fragen, die uns dringend interessieren müssen. Wer trägt die finanziellen Verluste, wenn die SBB plötzlich auf einen Teil des Fernverkehrs verzichten müsste? Was soll das der Bevölkerung, als Kundinnen und Kunden und als Steuerzahler, bringen? Und was heisst das für das Personal, das plötzlich zum Spielball des Konkurrenzsystems würde? Und für die Pensionskasse der SBB, wo ja heute schon immer weniger Aktive für immer mehr Pensionierte aufkommen müssen?
Fragen über Fragen aber nicht nur bei der SBB. Als St.Galler frage ich mich bei der SOB, welche Risiken auf den Kanton St.Gallen als zweitgrösster Aktionär nach dem Bund zukommen, wenn die SOB über die Stammlinien hinaus, wo sie eine gute Arbeit macht, plötzlich einen Teil des nationalen Fernverkehrs bespielen will? Die Investitionen im Bahnbetrieb, nicht nur bei der Infrastruktur, sondern auch im Betrieb selber, sind gewaltig. Investitionen bedeuten auch Risiken.
Die gleichen Fragen gelten bei der BLS für den Kanton Bern. Droht hier nicht bei einem Übergang in ein Wettbewerbssystem am Schluss der Einstieg einer grossen ausländischen Bahn, weil sie diese Investitionen dann auch effektiv stemmen kann? Vergessen wir nicht, dass der schweizerische Eisenbahnmarkt bei der grossen Verkehrsdichte im europäischen Vergleich hoch attraktiv ist.
Solche fundamentalen Entscheide für die Zukunft unserer Bahnen kann doch nicht einfach die Verwaltung fällen. Es ist in einer Demokratie Sache des Gesetzgebers, hier die Weichen zu stellen, demokratisch legitimiert.
Die Sache wird hier umso akuter, als die Verwaltung mit der Wegleitung über Grundsätze und Kriterien für den Fernverkehr der heutigen Rechtslage weit vorauseilt. Dabei möchte ich durchaus anerkennen, dass nicht alles falsch ist, was die Verwaltung hier vorschlägt. Auch ist es positiv, wenn die Verwaltung vorausdenkt, vor allem dann, wenn sie es in Szenarien tut, über die dann nachher politisch, durch die dafür gewählten politischen Instanzen, demokratisch entschieden wird.
Wenn zum Beispiel vorgeschlagen wird, für die Zukunft zwischen einem Premium- und einem Basisnetz zu unterscheiden, dann ist das doch ein Entscheid, der vom Gesetzgeber getroffen werden muss. Die Zurückstufung vieler Fernverkehrslinien auf ein Basisnetz muss kritisch hinterfragt werden, wenn damit zum Beispiel der Verzicht auf eine Zugbegleitung verbunden ist. Auch föderalistisch ist ein solcher Entscheid ausserordentlich heikel.
Bis vor kurzem war vorgesehen, die heiklen Abgrenzungsfragen im Fernverkehr vom regionalen Personenverkehr mit der Reform des regionalen Personenverkehrs vorzunehmen. Dafür braucht es einen Gesetzgebungsvorschlag mit einer Botschaft nach einer Vernehmlassung. Jedenfalls kann das nicht einfach mit einer amtsinternen Wegleitung gemacht werden.
Wenn ich mich hier für die Fernverkehrskonzession der SBB ausspreche, dann möchte ich festhalten, dass auch ich nicht einfach alles gut finde, was die SBB macht. Denken wir beispielsweise an die exzessiven Bezüge des CEO, die für ein Service-Public-Unternehmen in der Öffentlichkeit eine schwere Belastung sind. Aber es geht heute um wichtigere Ziele, um einen effizienten schweizerischen Fernverkehr auf der Schiene im nationalen Interesse auf der Basis der heutigen Gesetzgebung. Die Herren Weibel von der SBB und Tromp von der BLS hatten 2004 gute Gründe und das öffentliche Interesse auf ihrer Seite, als sie mittels Vereinbarung der SBB den Fernverkehr und der BLS das S-Bahn-Netz zuordneten. Statt künstlichen Wettbewerb zu propagieren drängt es sich auf, mit einer ausreichend langen Fernverkehrskonzession Planbarkeit und Investitionsschutz zu gewährleisten. Wir haben zu viel in den Ausbau der Infrastruktur investiert, um auf der Ebene des Betriebs jetzt unnötig neue Probleme zu schaffen.
Noch ein Wort zur Konkurrenzierung des Personenfernverkehrs auf der Schiene durch Fernbusse. Auch hier stellt das BAV mit seiner neuen Politik die Dinge schon im Ablauf auf den Kopf. Die Frage ist umstritten und so heikel, dass der Bundesrat nach Vorstössen angekündigt hat, zuhanden des Parlaments bis Ende 2017 einen Bericht zu verabschieden und darin auch seine Positionierung vorzuschlagen. Aber noch bevor dieser Bericht und der Positionsbezug vorliegen, geht das Bundesamt hin und bewilligt neue Fernbuslinien auch im nationalen öffentlichen Fernverkehr. Das stellt nicht nur das Gesetz, sondern auch die demokratischen Entscheidprozesse auf den Kopf.
In der Sache geht es um einiges. Wir wollen in der Schweiz im Fernbusbereich keine Verwilderung wie in Deutschland. Was ist der Preis für die Fahrt im Bus von St.Gallen nach Genf? 19.50 Franken, x-mal billiger als die Bahn, und diese kommerziellen Busunternehmen wollen ja auch noch Gewinne schreiben. Wie ist das möglich? Die Busse bezahlen keine Trassenpreise wie die Bahn; sie erhalten die ganze Basisinfrastruktur geschenkt. Und die Arbeitsbedingungen sind ausbeuterisch. Bis heute gibt es keinen flächendeckenden Gesamtarbeitsvertrag im Strassentransport, der diesen Namen verdienen würde. Nehmen wir den bitteren Alltag eines Fernbuschauffeurs, der von Zürich nach Milano fährt. Überlange Arbeits- und Präsenzzeiten sind an der Tagesordnung. Die Löhne liegen mit deutlich unter 2000 Euro weit unter denen der Schweiz. Dazu kommen noch die Anfahrts- und Heimfahrzeiten aus dem EU-Raum in die Schweiz. Ein solches Arbeitszeitdumping, Lohndumping und Sicherheitsdumping wollen wir in der Schweiz nicht. Genau das ist aber die wirtschaftliche Basis der neuen Billigkonkurrenz für die Bahn auf der Strasse.
Frau Bundespräsidentin, ich muss Sie einladen, diese unfairen Prozesse zu stoppen, bis der ausstehende Bericht vorliegt und wir über nötigen Weichenstellungen politisch entschieden haben. Unsere Bahn ist zu wichtig, als dass die bisherige Ordnung ohne klare gesetzgeberische Entscheide durch chaotische Prozesse auf der Stufe der Verwaltung ausgehebelt werden darf.
Die Erfolgsgeschichte des öffentlichen Verkehrs beruht auf klaren politisch abgestützten und legitimierten Entscheiden. Auf diesem bewährten Weg müssen wir weiterfahren.
(Bild: David Gubler, bahnbilder.ch, Creative Commons)