An manchen Orten ist bis heute nicht verstanden worden, was die SVP-Abschottungsinitiative konkret verlangt. Diese will nicht einfach zurück zum früheren System der Kontingente mit Inländervorrang. Die SVP verfolgt viel extremere Ziele. Die SVP will keinen «Inländervorrang», sondern einen «Schweizervorrang». Für alle, die keinen Schweizer Pass haben – und dazu zählt auch die hier geborene und lebende Erwerbsbevölkerung mit ausländischer Staatsangehörigkeit –, soll neu die Kontingentswirtschaft gelten, bei der das Recht auf dauerhaften Aufenthalt, auf Familiennachzug und auf Sozialleistungen eingeschränkt werden soll. Die früher in der Schweiz praktizierten Kontingente regelten jeweils die Immigration zusätzlich zur bereits hier ansässigen Bevölkerung (mit oder ohne Schweizer Pass). Die SVP-Initiative macht dagegen keinen Unterschied mehr zwischen Inländern mit ausländischem Pass, die hier geboren wurden und hier leben, EU-Staatsangehörigen oder ausländischen Staatsangehörigen ausserhalb der EU. Alle ohne Schweizer Pass würden in einen Topf geworfen, unabhängig vom Aufenthaltsstatus.
Vorbild Schwarzenbach
Was die SVP jetzt verlangt, war nie schweizerische Politik. Die SVP-Initiative hat aber Vorbilder. Sie schliesst direkt an die 1970 abgelehnte Schwarzenbach-Initiative an. Und an die «Überfremdungsinitiativen» in ihrem Gefolge. Diese wurden alle verworfen. Wie ihre Vorgängerinitiativen strebt das SVP-Begehren die kollektive Entrechtung der inländischen Erwerbsbevölkerung mit ausländischem Pass an. Der gemeinsame Nenner der Schwarzenbach- und der SVP-Initiative ist die Fremdenfeindlichkeit. Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit werden für die Probleme der Schweiz verantwortlich gemacht. Auch jene, die zur inländischen Wohnbevölkerung zählen.
Die Schweiz ist als kleines und international stark verflochtenes Land mitten in Europa auf geregelte Beziehungen mit der EU angewiesen. Die Gewerkschaften haben deshalb die bilateralen Verträge unter Einschluss der Personenfreizügigkeit von Beginn an befürwortet. Bedingung dafür war ein neues System flankierender Massnahmen zum Schutz der Löhne. Der Kampf gegen Lohndumping dient auch dem Schutz der Arbeitsplätze. Denn wenn in der Schweiz das Prinzip gilt, dass Schweizer Löhne bezahlt werden müssen, dann haben Arbeitgeber keinen wirtschaftlichen Anreiz, inländische Arbeitskräfte durch billigere aus dem Ausland zu ersetzen.
Der Schutz der Löhne durch flankierende Massnahmen ist für das Funktionieren der bilateralen Verträge zentral. Der Lohnschutz sorgt dafür, dass die wirtschaftliche Entwicklung auch den Beschäftigten zu Gute kommt. Politisch war der Schutz der Löhne ausschlaggebend dafür, dass die Personenfreizügigkeit in den verschiedenen Volksabstimmungen angenommen wurde.
Damit der Schutz der Löhne den Herausforderungen eines geöffneten europäischen Arbeitsmarkts gewachsen ist, muss er regelmässig überprüft und an die Notwendigkeiten angepasst werden. Die grösste Schwäche des heutigen Lohnschutzes liegt darin, dass die Arbeitsverhältnisse nur ungenügend durch Gesamtarbeitsverträge geschützt werden. Die Ursache dafür sind zu hohe gesetzliche Hürden dafür, dass die Gesamtarbeitsverträge allgemeinverbindlich erklärt werden können. Deshalb müssen die gesetzlichen Regeln an die Zeit geöffneter Arbeitsmärkte angepasst werden. Wenn die repräsentativen Sozialpartner einer Branche sich einigen, dann muss ein Gesamtarbeitsvertrag allgemeinverbindlich erklärt werden können. Denn nur die Allgemeinverbindlichkeit sorgt dafür, dass sich alle Betriebe einer Branche an die Regeln halten müssen. Auch ausländische Betriebe, die in der Schweiz tätig sind.
Kontingente fördern Tieflöhne
Ein Rückblick in die Jahre der Kontingentierung zeigt, dass diese faktisch eine staatlich geförderte Tieflohnpolitik strukturschwacher Branchen bewirkte, ganz abgesehen von der rechtlichen Diskriminierung der betroffenen Beschäftigten. Wirtschaftlich betrachtet ist die Freizügigkeit, verbunden mit dem Schutz der Löhne, dem bürokratischen System der Kontingente weit überlegen.
Die Personenfreizügigkeit hat aber nicht nur eine wirtschaftliche Seite. Sie ist wie die Niederlassungsfreiheit, die im 19. Jahrhundert mühsam erkämpft werden musste, eine Errungenschaft, die zu verteidigen es sich lohnt. Eine entwickelte Gesellschaft und eine entwickelte Wirtschaft werden getragen von arbeitenden Menschen, denen die elementaren sozialen Rechte nicht vorenthalten werden dürfen. Es kann nicht zu hoch eingestuft werden, dass die bilateralen Verträge Schluss gemacht haben mit der Diskriminierung eines Teils der arbeitenden Bevölkerung der Schweiz. Der Rückfall in die Diskriminierung der Erwerbsbevölkerung mit ausländischem Pass würde die Schweiz politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich gewaltig zurückwerfen.