Als ich Mitte der 70er Jahre mein Studium abschloss, galt noch das alte Eherecht. Im damals führenden Lehrbuch zum Zivilgesetzbuch stand, dass es zwei extreme Möglichkeiten gebe, das Verhältnis zwischen Mann und Frau in der Ehe zu regeln. Das eine Extrem sei das Patriarchat, die absolute Vorherrschaft des Mannes. Dem gegenüber stehe das andere Extrem. Und was denken Sie, was war mit dem anderen Extrem gemeint?
Nein, nicht etwa das Matriarchat.
Das andere Extrem war nach dem damals führenden Lehrbuch – die Gleichberechtigung von Mann und Frau.
Das schweizerische ZGB aber habe einen weisen Mittelweg zwischen diesen beiden Extremen gefunden. Der Mann – das Haupt der Familie, die Frau gleichzeitig nicht völlig rechtlos, in den Belangen des Haushalts mit Rechten, der sogenannten Schlüsselgewalt.
Bis die Gleichberechtigung von Frau und Mann in der Ehe Realität wurde, dauerte es dann noch mehr als ein Jahrzehnt. Das neue Eherecht auf der Grundlage der Rechtsgleichheit von Frau und Mann trat 1988 schliesslich in Kraft, erfolglos bekämpft durch das erste Referendum unter Führung des Milliardärs aus Herrliberg.
Die Schweiz ist in vielen Belangen ein fortschrittliches Land. Im Verhältnis der Geschlechter ist sie es nicht. Als die Männerschweiz den Frauen 1971 auf Bundesebene die politischen Rechte gewährte, war die Schweiz eines der letzten Länder weltweit. Und im Kanton Appenzell-Innerrhoden, meinem Heimatkanton, ging es bis zum berühmten Bundesgerichtsentscheid noch einmal 20 Jahre länger.
Warum hole ich hier etwas aus? Der Anspruch auf Gleichstellung in der Arbeitswelt, der Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit ist nicht einfach ein politisches Wunschprogramm. Die Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern ist ein Verfassungsauftrag, und das schon seit 1981. Wenn die ausschliesslich aus Männern bestehende Kommissionsminderheit glaubt, es seien keine besonderen Massnahmen nötig, und die Vorlage zur Revision des Gleichstellungsgesetzes bekämpfen, weil sich die Lohngleichheit angeblich von selber einstellen werde, dann stellt sie sich gegen den Verfassungsauftrag.
Klar, die Kollegen der Kommissionsminderheit vertreten nichts Anderes als das, was auch die Wirtschaftsverbände fordern. Die Wirtschaftsverbände waren in Gleichstellungsfragen allerdings noch nie die Speerspitze des Fortschritts. Sie bekämpften seinerzeit auch das Gleichstellungsgesetz. Unsere Aufgabe hier aber ist es, der von der Verfassung geforderten Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern zum Durchbruch zu verhelfen.
Wenn die Vorlage des Bundesrates Schwächen hat, so sind es nicht die, dass sie zu weit, sondern dass sie zu wenig weit geht. Und die schon sehr sanften Vorschläge des Bundesrates wurden in der Kommission dann auch noch abgeschwächt.
Bereits 2006 hatte die offizielle Evaluation der Wirkungen des Gleichstellungsgesetzes ergeben, dass die Massnahmen zur Lohngleichstellung nicht der Wirtschaft selber überlassen werden dürfen. Sondern dass es Untersuchungs- und Durchsetzungskompetenzen der Behörden braucht. Wie in anderen Bereichen des Staates auch. Beispielsweise beim Datenschutzgesetz oder beim Wettbewerb.
Genau das beantrage ich Ihnen mit einer Minderheit in der Detailberatung. Wer aber auf die Vorlage nicht einmal eintreten will, der verkennt die Zeichen der Zeit. Es ist überfällig, dass die Schweiz im Verhältnis der Geschlechter nun endlich auch bei der Lohngleichheit aufholt. Es kann nicht länger hingenommen werden, dass Frauen für gleichwertige Arbeit im Durchschnitt 600 Franken pro Monat weniger verdienen. Und dadurch nicht nur beim Lohn, sondern auch in der Altersvorsorge diskriminiert werden.
28. Februar 2018
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Gleichstellung ist kein Wunschprogramm
Massnahmen zur Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern dürfen nicht der Wirtschaft überlassen werden. Das Votum in der Ständeratsdebatte.