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23. Juni 2025

«Gedankenstrich»-Kolumne

Die Stadt St.Gallen im Verruf – ein Kontrapunkt

Finanzielle Schieflage, kein Rückhalt in den Nachbargemeinden, Häme in der «NZZ»: Die Stadt St.Gallen ist besser als ihr Ruf.



Die Stadt St.Gallen hatte jüngst eine schlechte Presse. Den Anfang machte in der «NZZ» ein gescheiterter Banker, der die älteste Schweizer Bank, eine 1741 gegründete St.Galler Bank, in den Sand gesetzt hatte. Das hinderte ihn nicht, der Stadt vom Steuerparadies Teufen herab vorzuwerfen, sie sei nur noch Mittelmass.

Es folgte die Häme über das Nein zu einer fehlkonstruierten Abstimmungsvorlage zum Finanzausgleich, die der Stadt für wenige Jahre einen bescheidenen Zusatzbeitrag des Kantons gebracht hätte. Abgelehnt wurde die Vorlage sogar in Mörschwil und Gaiserwald, die von der Stadt mit ihren Leistungen faktisch stark subventioniert werden. Einmal mehr gelang es den Vertretern der reichen Gemeinden, ärmere Landgemeinden gegen die Stadt auszuspielen.

Das Grundübel der finanziellen Lage der Stadt bleibt – neben dem ungenügenden Ausgleich der Zentrumslasten – der im Kanton fehlende horizontale Finanzausgleich. Das ist eine aus der Zeit gefallene Anomalie, unter der auch die ärmeren Gemeinden im Kanton leiden. Wäre es beim Bund vorstellbar, dass das im Geld schwimmende Zug nicht in den Finanzausgleich einzahlt, von dem auch der Kanton St.Gallen profitiert?

In anderen Kantonen ist der horizontale Finanzausgleich unter den Gemeinden selbstverständlich. Dass es ihn in St.Gallen nicht gibt, ist massgeblich Regierungsräten und Finanzchefs zuzuschreiben, die aus Mörschwil stammen. Auch St.Gallen braucht den horizontalen Finanzausgleich. Besser früher als später.

Zwischenzeitlich tut die Stadt gut daran, sich auf ihre Stärken zu besinnen. Es gibt wenige Städte dieser Grössenordnung, die kulturell ähnlich spannend wären.

Gemeint sind nicht nur Museen, Theater und Konzertverein. Die neueren Institutionen wie das Kinok, ein auch im schweizerischen Vergleich führendes Programmkino, die Grabenhalle oder das Palace strahlen weit über die Stadt hinaus aus. Die Orgeln der Kathedrale und von St.Laurenzen sind Weltklasse. Ganz zu schweigen vom Weltkulturgut mit der Stiftsbibliothek. Und der auch baulich verkörperten Textilgeschichte. Die Bildungsinstitutionen sind hervorragend, angefangen bei der Universität. Die binäre Uhr kündet als weltweit kühnste und fortgeschrittenste Bahnhofsuhr vom Aufbruch in ein neues Bahnzeitalter.

Dank der urbanen Verdichtung zentraler Institutionen verfügt St.Gallen über eine hohe Lebensqualität. Auch wenn viel zu tun bleibt und manche Baustellen offen sind: Eine Rückwärtsorientierung fixiert auf Parkplätze und das Auto als dominantes Verkehrsmittel wäre ein grober Fehler. Urbanität heisst weltweit Vielfalt und Förderung einer menschenfreundlichen Umgebung.

Das Nein zu einem vielspurigen neuen Autobahnanschluss mitten im Stadtzentrum, einer Planungsleiche im Stil der siebziger Jahre, zeigt, dass die städtische Bevölkerung die Weichen zukunftsorientiert stellt. Und mit dem Projekt «Grünes Gallustal» stammt ein bemerkenswerter und weit über die Stadt hinaus wahrgenommener Denkanstoss aus St.Gallen. Das ist der Weg, der nach vorne weist.

St.Gallen wird in den Ratings der Städte sicher nicht überbewertet. Die Stadt kennt die Plage des «Overtourism» nicht. Für die Stadt St.Gallen gilt dasselbe wie im Fussball: Lieber unterschätzt als überschätzt.


Dieser Text erschien erstmals als «Gedankenstrich»-Kolumne im St.Galler Tagblatt.