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13. März 2017

Blog

Nein zur Anti-Menschenrechtsinitiative

Die «Selbstbestimmungsinitiative» der SVP ist ein fundamentaler Angriff auf die Grundlagen unseres Staates. Das Votum in der Ständeratsdebatte.

 


Innert weniger Jahre stehen wir nun zum dritten Mal vor der Auseinandersetzung mit einer Volksinitiative, die wie nie zuvor die Grundlagen unserer Verfassung und unseres demokratischen Staates angreift. Die sogenannte Durchsetzungsinitiative der SVP war ein erster Versuch, unsere Institutionen und die Menschenrechte auszuhebeln. Volk und Stände haben sie vor zwei Jahren klar verworfen.

Der zweite Angriff war «No Billag». Die Initiative hatte das Ziel, die öffentlichen elektronischen Medien, das Schweizer Radio und Fernsehen, abzuschaffen. Der versuchte Anschlag auf die vierte Gewalt in unserer Demokratie ist, nicht einmal 10 Tage ist es her, an der Urne hochkant verworfen worden.

Die sogenannte Selbstbestimmungsinitiative ist jetzt der dritte und fundamentalste Angriff auf die Grundlagen unseres Staates. Er zielt direkt auf die Menschenrechte und die Basis der verfassungsmässigen Ordnung. Konkret die Rolle der Richter. Oder noch konkreter: unserer Richter.

Die Schweiz ist die zweitälteste Demokratie der Welt, nach den Vereinigten Staaten. Und wie die USA verfügen wir über ein fein austariertes System der Institutionen, von sogenannten checks and balances, die wie die USA unter ihrem heutigen Präsidenten die Bewährungsprobe unter Druck bestehen müssen. Dafür braucht es gerade in unserer Kammer, der chambre de réflexion, einen klaren Kopf dafür, was auf dem Spiel steht. Wir tragen wie schon in der Vergangenheit gerade in unübersichtlichen Zeiten eine besondere Verantwortung für die Institutionen, die unsere Demokratie tragen.

Das Verhältnis zum Völkerrecht, und insbesondere zu den Menschenrechten, ist eine der Kernfragen der Verfassung, nicht nur unserer Verfassung, aber auch unserer Verfassung. Und genau das soll durch die neue SVP-Initiative nun in Frage gestellt werden.

Unsere bewährte Ordnung stellt in Art. 190 der Bundesverfassung fest, dass die vom Parlament beschlossenen Gesetze für das Bundesgericht massgebend bleiben. Sie unterstehen ja auch dem Referendum. Dieser Vorrang der politischen Entscheide gilt aber nicht absolut. Art. 190 der Bundesverfassung sagt gleichzeitig, dass auch das Völkerrecht massgebend ist. Diese Bestimmung verankert damit also auch den Vorrang der transnational garantierten Menschenrechte. Wir haben damit im Ergebnis in der Schweiz zwar eine eingeschränkte Verfassungsgerichtsbarkeit, aber auf der anderen Seite eine umfassende Menschenrechtsgerichtsbarkeit. Wer sich auf die Menschenrechte beruft, kann sich damit nicht nur an die Organe der Europäischen Menschenrechtskonvention, sondern auch an unsere eigenen Gerichte wenden. Das ist gut so, und das soll und muss so bleiben.

Die Menschenrechte, also die Rechte, die einem Menschen als Mensch, also qua seines Menschseins zukommen, sind die wichtigste positive Errungenschaft der modernen Geschichte. Dass sie transnational verankert und kodifiziert wurden, ist die Lehre aus den Verheerungen der Nazi-Zeit, der Zeit des zweiten Weltkriegs. Heute besteht die Gefahr, dass diese Lehren wieder vergessen werden. Und der Nationalstaat verabsolutiert wird.

Der Nationalstaat ist sicher eine sehr positive Errungenschaft; er war auch die Voraussetzung eines Sozialstaats, eines Leistungsstaats. Es ist aber ein Trugschluss, dass das Nationale über dem Internationalen, dem Transnationalen steht. Die transnational geltenden Menschenrechte sind auch unsere Rechte, die Rechte der Schweizerinnen und Schweizer. Sie haben auch die Rechtsstellung der Schweizerinnen und Schweizer, und der ganzen Bevölkerung, die unser Land ausmachen, verbessert. Ja, sie sind deren Grundlage.

Freilich stehen die Initianten aus dem Kreis der SVP mit ihrem Ansinnen, nationale Bestimmungen über die transnational garantierten Menschenrechte zu stellen, nicht allein. Orban in Ungarn, Putin in Russland und manche afrikanische Potentaten wollen nichts anderes. Aber in welcher Gesellschaft befände sich die Schweiz mit solchen Ideen?

Der Vorrang des Völkerrechts geht über die Menschenrechte hinaus. Auch wenn es die Menschenrechte waren, die die Initianten gestört haben und bis heute stören.

Aber was bedeutet die Idee, dass Landesrecht plötzlich über dem Völkerrecht stehen soll, im Ergebnis? Verträge, auch völkerrechtliche Verträge leben doch davon, dass sie auch eingehalten werden. Von beiden Seiten, von allen Seiten. Gerade ein kleineres Land wie die Schweiz ist doch darauf angewiesen, dass völkerrechtliche Verträge auch eingehalten werden.

Wem ein völkerrechtlicher Vertrag nicht passt, kann ihn kündigen. So wie es die SVP mit ihrer neuesten Initiative gegen die bilateralen Verträge mit der EU tut. Aber wer den Vorrang des Völkerrechts gegenüber dem Landesrecht in Frage stellt, der hebelt nicht nur die Grundlagen unserer staatlichen Ordnung, sondern auch die Logik des Vertragsrechts überhaupt aus. Verträge müssen eingehalten werden. Das zeichnet Verträge aus. Sonst sind sie wertlos.

Die sogenannte Selbstbestimmungsinitiative der SVP liegt in ihrer Stossrichtung gegen die bewährte Ordnung unserer Verfassung so falsch, dass auch der Versuch, ihr mit einem Gegenvorschlag halbwegs entgegenzukommen, nicht weniger falsch ist. Wenn es um die Grundlagen unserer verfassungsmässigen Ordnung geht, dann kann es bei einer solchen Initiative nur ein klipp und klares Nein geben. Noch mehr als bei der Durchsetzungsinitiative, und noch mehr als bei No Billag.