1971 war es, als ein gewisser Nationalrat Otto Stich eine parlamentarische Initiative zur materiellen Steuerharmonisierung einreichte. Sie bezweckte unter anderem, dem Bund für die «krassesten Fälle bei Holding- und Domizilgesellschaften» die Kompetenz zu einer einheitlichen Regelung zu geben. Dies, um die grössten Ungerechtigkeiten, Belastungsunterschiede und Wettbewerbsverzerrungen zu bekämpfen. Weil die Praktiken des ungebremsten Steuerwettbewerbs – immer in den Worten von Otto Stich – zu einer Form von «legaler Steuerhinterziehung» führten. Trotz guter, ja bester Argumente erreichte Otto Stich sein Ziel damals nicht. Er wurde gut zehn Jahre danach immerhin zu einem der besten Finanzminister, die die Schweiz je hatte.
Heute, 50 Jahre später, ist es nun soweit, dass für grosse multinationale Unternehmensgruppen eine materielle Steuerharmonisierung stattfindet. Dank der OECD, einer Organisation, die sich zu einer sehr effizienten Institution zur Bekämpfung des schädlichen Steuerdumpings auf internationaler Ebene gewandelt hat. Die Mindeststeuer von 15 Prozent mutet zwar verhältnismässig bescheiden an. Sie ist aber trotzdem ein kleiner Lichtblick nach einer langen Ära des ungebremsten Steuerwettbewerbs, in dem die Steuersätze für die Unternehmen nur noch eine Richtung kannten, nämlich die gegen unten. Dies obschon die Unternehmen nicht weniger als früher auch auf funktionierende staatliche Dienstleistungen angewiesen waren und sind. Die OECD-Projekte werden damit auf internationaler Ebene zum Ausgangspunkt einer Wende zu mehr Steuergerechtigkeit.
Es ist deshalb sehr zu begrüssen, dass die Schweiz mit dieser Vorlage hier nachzieht. Auch wenn diese Vorlage das Minimum ist, was die Schweiz tun muss, um international mitziehen zu können.
Positiv ist nicht nur die Vorlage selbst, sondern auch das Konzept der Bundesergänzungssteuer. Die Kantone haben eingesehen, dass es eine nationale Lösung braucht. Diese ist so aufgesetzt, dass sie auch zukünftige Entwicklungen auffangen können sollte. Man hätte weiter gehen können und sollen, aber wenn man die politischen Realitäten und die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte in diesem Land kennt, dann muss man feststellen: Es ist wohl das, was derzeit möglich scheint. Der Ansatz ist ausbaufähig.
Die Schieflage der Reform liegt nicht bei dieser Konzeption, sondern bei der Verteilung der Einnahmen zwischen Bund und Kantonen. Das ist eine Schlüsselfrage der Vorlage, auch wenn die Höhe der resultierenden Erträge ungewiss ist. Und die Verteilung vorläufig nur in den Übergangsbestimmungen festgelegt wird.
Ursprünglich war in der Vernehmlassung vorgeschlagen worden, die gesamten Erträge den Kantonen zu überlassen, während der Bund ausschliesslich die Kosten zu tragen gehabt hätte. Zum Beispiel für die höheren Ausgaben für den Finanzausgleich.
Das war dann sogar für den Kanton Zug zu krass. Der von der Finanzdirektorenkonferenz vorgeschlagene und vom Bundesrat und der Kommissionsmehrheit übernommene Schlüssel ist jetzt 75 Prozent für die Kantone und 25 Prozent für den Bund. Das ist zwar etwas weniger krass, aber immer noch vollkommen schief.
Denn was wäre die Folge davon, dass der Löwenanteil der Einnahmen zu den Kantonen gehen? Es wären nicht die Kantone, die das nötig hätten, die zusätzliche Einnahmen bekämen. Begünstigt wären ein paar wenige Kantone, nämlich die Tiefsteuerkantone. Es zeichnet sich ab, dass diese Kantone die zusätzlichen Einnahmen zur Standortförderung verwenden würden. Die Botschaft selbst spricht von Massnahmen wie der weiteren Senkung der Einkommens- und Vermögenssteuern. Man stelle sich vor, was das für einen Kanton wie Zug bedeutet, der schon heute ein Steuerparadies ist. Die heute schon grossen Disparitäten unter den Kantonen würden sich nochmals verschärfen. Der Steuerwettbewerb und der Wildwuchs an Standortförderungsmassnahmen würden weiter angeheizt, mit allen negativen Folgen für jene, die nicht mithalten wollen und können.
Die Ergänzungssteuer ist eine Bundessteuer. Es drängt sich doch auf, die Einnahmen nach dem Muster der direkten Bundessteuer zu verteilen. Der Kantonsanteil von 21,2 Prozent deckt weit mehr ab als die Provision für die Veranlagung und den Bezug der Steuer. Und wenn man die Kantone noch weiter beteiligen möchte, dann zum Beispiel über den Nationalen Finanzausgleich. Dann hätten alle Kantone etwas davon, und nicht nur die Minderheit der Tiefsteuerstandorte. Das ist die Haltung des Kantons St.Gallen, die ich mit dem Minderheitsantrag hier aufnehme.
Es gibt weitere Gründe, die Einnahmen stärker beim Bund anzusiedeln. Die Einnahmen des Bundes kommen der ganzen Bevölkerung zugute, und nicht nur einer Minderheit begünstigter Kantone. Wer hatte die grossen Ausgabenblöcke der letzten Jahre zu schultern? Denken wir an die Dutzenden von Milliarden aus der Corona-Krise. Es war der Bund, während die Kantone Überschüsse schrieben. Das gleiche Muster zeigt sich aktuell beim Sonderkredit für die Axpo. Von den Einnahmen profitierten die Kantone. Die Risiken trägt jetzt der Bund.
Es wäre doch nichts anderes als Anstand, ist man versucht zu sagen, jetzt diese neuen Einnahmen, ihre Höhe kennen wir vorläufig nicht, schwergewichtig auch dem Bund zukommen zu lassen, aus Ausgleich für all die zusätzlichen Aufgaben, die er gerade auch im Interesse der Kantone auf sich genommen hat. Jedenfalls hat der Bund diese Zusatzeinnahmen auch nötig.
Und ein letztes Argument, anschliessend an die Volksabstimmung vom letzten Sonntag. Wenn Sie die steuerpolitischen Vorlagen der letzten Jahre Revue passieren lassen, angefangen von der USR III über die Kinderabzüge bis hin zur Stempelsteuer und zur Verrechnungssteuer, dann ist das ein einziges Fiasko. Der steuerpolitische Kompass ist in diesem Haus vollkommen verloren gegangen. Ein einziges Mal wurde eine Vorlage mit grosser Mehrheit gutgeheissen. Es war die STAF-Vorlage, die Steuer-AHV-Vorlage, mit der ein sozialer Ausgleich gesucht wurde. Die Bevölkerung ist in Sachen Steuergerechtigkeit sensibel. Eine Vorlage, die im Ergebnis einzig die Tiefsteuerkantone begünstigt und die Disparitäten im Land noch verschärft, hat in der obligatorischen Volksabstimmung schlechte Chancen.