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 1. Mai 2017

Soziale Interessen verteidigen

Die richtige Antwort der Linken auf den Rechtspopulismus liegt nicht im nationalen Rückzug. Die Rede zum Tag der Arbeit.

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Wenn wir uns vor Augen halten, was seit dem letzten 1. Mai passiert ist, in Europa, weltweit, dann ist das wahrlich kein erbaulicher Blick. In den USA gewinnt Trump die Präsidentschaftswahlen, mit Hetze, Lüge, heute heissen diese Lügen „alternative Fakten“. Trump bekam fast drei Millionen Stimmen weniger als seine Gegenkandidatin. Aber er ist jetzt Präsident der ersten Militärmacht der Welt, am Drücker der Atomwaffen. Wie Putin in Moskau. Keine gemütliche Welt. - Erdogan in der Türkei, Orban in Ungarn, Kaczynski in Polen: lauter Rechtsregierungen mit dem Zug zu einem neuen Autoritarismus, Verfolgung politischer Gegnerinnen und Gegner, verbunden mit Hetze und Fremdenfeindlichkeit. In Grossbritannien verzockt sich Cameron mit seinem Machtpoker. Ein Plebiszit über den Brexit mit schwer absehbaren Folgen. Aber auch da ist die Folie ein neuer Nationalismus verbunden mit Fremdenfeindlichkeit.

Die Schweiz gehörte seit den neunziger Jahren zu den Ländern, in denen der Aufstieg des Rechtspopulismus mit Fremdenfeindlichkeit und neuem Nationalismus besonders ausgeprägt war. Denken wir beispielsweise an die menschenrechtswidrigen Volksinitiativen. Ziehen wir aber bei uns die Bilanz des letzten Jahres, dann sieht es für einmal nicht so schlecht aus. Es begann mit dem Nein zur sogenannten Durchsetzungsinitiative der SVP. Ein Erfolg der Zivilgesellschaft. Bundesbern und die meisten Medien gingen bereits davon aus, dass die SVP wieder gewinnen würde. Dann kam es mit Dringenden Aufruf zu einer grossen Bewegung mit einem durchschlagenden Erfolg. Wir waren ein zentraler Teil dieser Bewegung. Dieser Erfolg war dann der Ausgangspunkt auch für das Ja zum Asylgesetz und für das Ja zur erleichterten Einbürgerung der dritten Generation. Resultate, die so sonst nicht vorauszusehen waren.

Und ohne Sieg gegen die Durchsetzungsinitiative hätte das Parlament nicht den Mut gehabt, den neuen Verfassungsartikel über die Einwanderung statt mit Kontingenten mit einem Arbeitslosenvorrang umzusetzen. Also mit einer sozialen Forderung. Und auf neue Diskriminierungen zu verzichten, wie die Schande eines neuen Saisonnierstatuts.

Der letzte Höhepunkt positiver Volksentscheide war das Nein zur Unternehmenssteuerreform III vor zwei Monaten. Auch hier sah zuerst alles nach einem klaren Sieg von Bundesrat, Wirtschaftsverbänden und den geschlossenen bürgerlichen Parteien aus. Sie hatten dieses Mal im Gegensatz zur gescheiterten Steuervorlage 2004 auch noch die Kantone auf ihrer Seite. Aber es zeigte sich, dass die Leute irgendwann genug haben. Genug von immer neuen Privilegien für die bereits Privilegierten. Und von irreführenden Behauptungen wie seinerzeit bei den schändlichen Unternehmenssteuerreform II von Bundesrat Merz. Der wegweisende Abstimmungserfolg zeigt die Vitalität der schweizerischen Linken. Und er ist ein weiterer Ausdruck davon, dass sich in der Schweiz wieder etwas ändert. Und zwar zum Positiven ändert.

Kommen wir zur Gegenwart und zur Zukunft. Jetzt im Mai und dann im September stehen zwei Vorlagen an, die für das Reformklima in der Schweiz entscheidend sein werden. Ob die positive Entwicklung weitergeht. Die Energiewende und noch mehr die Rentenreform stehen dafür, dass in der Schweiz wieder realer Fortschritt möglich wird. Und beide Vorlagen können wir gewinnen.

Sicher ist die Energiewende eine von vielen Kompromissen geprägte Vorlage. Aber sie geht in die richtige Richtung und führt zum definitiven Ausstieg aus der Atomkraft. Das war noch vor wenigen Jahren nicht mehrheitsfähig.

Und schauen wir uns an, was jetzt mit der Wasserkraft passiert. Der klassischen erneuerbaren Energie also. Dass die Nationalratskommission zum Schutz der schweizerischen Wasserkraft jetzt eine gelenkte Wirtschaft vorschlägt, ist nichts anderes als der politische Bankrott der Strommarktliberalisierung. Erinnern wir uns: Der Referendumssieg gegen die Strommarktliberalisierung im Jahr 2002 war der erste grosse Abstimmungssieg der gewerkschaftlichen Linken im neuen Jahrtausend. Zwar wurde dieser Volksentscheid nachher auf dem Gerichtsweg von den Liberalisierern teilweise wieder ausgehebelt. Nur für die Haushalte und die kleineren Unternehmen konnte das Monopol verteidigt werden. Aber das war entscheidend: Heute ermöglicht nichts anderes als dieses Monopol für die Haushalte und die kleineren Unternehmen auch die Verteidigung der Schweizer Wasserkraft und damit ein wichtiges Stück ökologischer Stabilisierung. Es wäre eine historische Dummheit, die schweizerische Wasserkraft als eine grosse öffentliche Errungenschaft an einer verantwortungslosen Strommarktpolitik zugrunde gehen zu lassen.

Um eine fundamentale Weichenstelleng geht es am 24. September: um die Zukunft der Altersvorsorge und die Zukunft der Renten. Geht es mit den Renten endlich wieder vorwärts? Kommt es endlich wieder zu einer sozialen Modernisierung, einer positiven Modernisierung? Oder gewinnen die reaktionären Kräfte, vom Arbeitgeberverband bis zu Economiesuisse, von der FDP bis zur SVP, die uns seit Jahren Rentenalter 67 und schlechtere Renten aufs Auge drücken wollen?

Ein sozialer Fortschritt ist umso nötiger, als wir in den letzten 20 Jahren ständig mit Rentenabbauvorlagen konfrontiert waren. Es ist uns mit erfolgreichen Referenden zwar gelungen, diese Abbauvorlagen zu verhindern. Aber vorwärts gekommen sind wir nicht mehr. Mit der Folge, dass die Renten der Pensionskassen ausserhalb des gesetzlichen Minimums trotzdem schlechter geworden und auch die AHV-Renten gegenüber der Lohnentwicklung langsam aber sicher zurückgeblieben sind.

Mit unserer Initiative AHVplus haben wir vor wenigen Jahren das Ziel von höheren AHV-Renten wieder auf die politische Agenda gesetzt. Das war unser Gegenprogramm zur Altersvorsorgereform des Bundesrats. Denn der Bundesratsvorschlag für die Altersvorsorgereform war bei der AHV eine Abbauvorlage: Kein garantierter Teuerungsausgleich mehr, Teilrückzug des Bundes aus der Finanzierung, massiver Abbau bei den Witwenrenten.

Wir haben im letzten Herbst die Volksabstimmung zur Volksinitiative AHVplus verloren. Auch wenn fünf Kantonen und über 40 Prozent Ja gestimmt hatten. Aber dank unserer Initiative wurden Rentenverbesserungen bei der AHV wieder zum Thema, endlich, nach Jahrzehnten. Und das hat die Altersvorsorgereform entscheidend geprägt. Aus einer Vorlage, welche die AHV geschwächt hätte, ist eine geworden, die die AHV stärkt.

Nicht verhindern konnten wir leider die Angleichung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre. Die übrigen Punkte der Revisionsvorlage sind aber positiv. Natürlich hätten wir uns gewünscht, dass die AHV-Rentenverbesserung höher ausgefallen wäre. Die Rentenerhöhung um 840 Franken pro Jahr für Alleinstehende und bis zu 2‘712 Franken pro Jahr für Ehepaare ist aber nicht nichts. Wer die Verbesserung der AHV-Renten lächerlich zu machen versucht, der hat keine Ahnung vom Leben der Leute. Der hat keine Ahnung davon, wie stark die höheren Krankenkassenprämien jedes Jahr die Leute drücken. 840 Franken bis zu 2‘700 Franken im Jahr sind Beträge, die Leute mit unteren und mittleren Einkommen im Portemonnaie spüren.

Wir hätten den Rentenzuschlag gerne auch für die heutigen Rentnerinnen und Rentner eingeführt. Das ist uns im Parlament nicht gelungen. Aber immerhin, und das zählt für die Älteren: Wir konnten alle Verschlechterungen abwehren. Der Teuerungsausgleich bei der AHV bleibt gesichert, die Witwenrenten bleiben erhalten. Und vor allem: Mit der Zusatzfinanzierung über die Mehrwertsteuer ist die Finanzierung der AHV bis mindestens 2030 gesichert. Die Mehrwertsteuererhöhung ist dabei bescheiden. Es braucht nur einmal 0,3 Prozent im Jahre 2021, also erst in vier Jahren.

Ein Ja am 24. September braucht es aber auch, damit die Mehrwertsteuerpromille, die heute noch in die IV fliessen, der AHV zu Gute kommen. Es geht um mehr als eine Milliarde. Kommt Altersvorsorge 2020 nicht durch, sind diese Mehrwertsteuerpromille verloren. Dann verschwindet sie in den Kassen der Unternehmen. Mit einem Ja bekommt die AHV dagegen auf einen Schlag jährlich mehr als eine Milliarde zusätzlich, und ohne dass die Leute das überhaupt merken. Weil wir diese Mehrwertsteuerpromille heute bereits zahlen. Es braucht ein Ja für sichere Renten. Weil für die Babyboomer-Generation, die jetzt ins Rentenalter kommt, eine Zusatzfinanzierung nötig ist.

Sichere Renten, bessere Renten für die Zukunft, eine solide und erst noch preisgünstige Finanzierung: Das ist das Positive der Rentenreform für die AHV.

Bei den Pensionskassen, der 2. Säule, sieht das Bild durchzogener aus. Logischerweise, weil die Renten der Pensionskassen wegen der Lage an den Kapitalmärkten quer durchs Land massiv unter Druck stehen. Bei der AHV gibt es diese Abhängigkeit nicht. Aber immerhin: Auch bei den Pensionskassen gibt es eine Garantie der gesetzlichen Renten für alle ab 45 Jahren. Und die Teilzeitbeschäftigten, es sind vor allem Frauen, werden besser gestellt als heute.

Und noch etwas: Wir konnten durchsetzen, dass, wer ab 58 die Stelle verliert, neu in der Pensionskasse bleiben kann. Und damit das Recht auf die Rente behält. Heute droht mit dem Stellenverlust auch der Verlust des Rechts auf eine Rente. Mit allen dramatischen Folgen für die Betroffenen, die in diesem Alter grösste Probleme haben, noch eine neue Stelle zu finden.

Es ist ein Skandal, wie manche Firmen heute mit langjährigen älteren Mitarbeitenden umgehen. Und skandalös, dass sich Bundesrat Schneider-Ammann aus ideologischem Borniertheit weigert, das Problem des schlechten Kündigungsschutzes für die langjährige ältere Berufsleute überhaupt in den Blick zu bekommen. Wenigstens geht es beim Kündigungsschutz in verschiedenen Gesamtarbeitsverträgen vorwärts. Überall dort, wo Schutzbestimmungen eingeführt wurden, sind die Erfahrungen positiv. Sie sorgen für mehr Anstand, Respekt und Sicherheit. Das braucht es auch in Branchen ohne Gesamtarbeitsvertrag. Und deshalb im Gesetz.

Jene, die bessere AHV-Renten bekämpfen, oder einen anständigen Kündigungsschutz für langjährige ältere Mitarbeitende, nehmen oft für sich in Anspruch, für die Jüngeren zu sprechen, auch wenn sie selber längst angegraut sind. Die Generationen gegeneinander auszuspielen ist ein beliebtes Spiel jener, die den Sozialstaat schwächen und abbauen wollen.

Wer aber die Generationen gegeneinander ausspielt, der betreibt politisch ein übles Spiel. Nicht nur die Älteren, sondern ebenso sehr die Jungen haben ein Interesse an einer gut funktionierenden Altersvorsorge. Starke Sozialversicherungen gleichen die grossen Risiken aus. Sie nützen den Älteren wie den Jungen. Die AHV ist für die Schweiz deshalb so zentral, weil sie wie keine andere Versicherung zwischen den Generationen, aber auch zwischen den Reichen und Superreichen auf der einen Seite und den unteren und mittleren Einkommen auf der anderen Seite ausgleicht. Es ist diese Solidarität unter den Generationen und den sozialen Klassen, die die Schweiz zusammenhält.

Was die Jungen brauchen, ist nicht eine Schwächung der Solidarität. Sie brauchen eine gute Bildung, Investitionen in die Zukunft. Deshalb waren und sind die Demonstrationen gegen die Sparpolitik in den Kantonen so wichtig, gegen den drohenden Abbau bei der Bildung. Das wuchtige Nein zur Unternehmenssteuerreform III war auch ein Protest gegen den Abbau staatlicher Leistungen in den Kantonen verbunden mit einer immer unverschämteren Steuersenkungspolitik für die hohen Einkommen und Vermögen.

Und wenn wir am 24. September gewinnen, und wir können und wir müssen gewinnen, dann ist das auch ein Signal dafür, dass in der Schweiz sozialer Fortschritt wieder möglich wird. Zum Beispiel für höhere Kinder- und Ausbildungszulagen und mehr Prämienverbilligung bei den Krankenkassen.

Die Verteidigung der sozialen Anliegen und der Rechte der Menschen in der Schweiz ist und bleibt zentral. Gleichzeitig denken wir als Linke über den nationalen Rahmen hinaus. So schwierig sich die politische Ausgangslage in vielen Ländern heute präsentiert, bleibt es doch dabei, dass die grossen Menschheitsfragen uns zwingen, in grösseren Zusammenhängen zu denken. Allein schon die technologische Entwicklung führt dazu, dass wir stärker vernetzt sind als je. Weder das Klima noch die grösseren wirtschaftlichen Entwicklungen machen an den nationalen Grenzen halt.

Der neue Nationalismus und die ausländerfeindliche Hetze der Rechtspopulisten haben keine Antwort auf die grossen Fragen der Menschheit heute. Auch wenn die Linke im Weltmassstab heute nicht auf der Höhe ihrer Aufgabe und jedenfalls nicht dort ist, wo sie sein müsste, gibt es trotzdem keine Alternative zum Denken in den grossen Zusammenhängen ausgehend von den Werten der Solidarität und dem Ziel eines Lebens in Würde für alle, für das die Menschenrechte unverzichtbar sind.

Es sind die Ziele des 1. Mai. Es war eine weltweite Bewegung armer Männer und Frauen, die 1890 unter damals sehr schwierigen Bedingungen auf den 1. Mai zu einem internationalen Kampf- und Feiertag aufgerufen hatte. Für die Forderung des 8-Stunden-Tages bei damals noch 6 Arbeitstagen pro Woche, für die dann nachher während Jahrzehnten gekämpft wurde, in der Schweiz bis zum Grosserfolg nach dem Generalstreik von 1918. Der 1. Mai steht bei allem, was sich seither geändert hat, für die Kraft der Solidarität. Dafür, dass es zu den herrschenden Verhältnissen und zur Ausbeutung der Menschen eine Alternative gibt. Und der gemeinsame Kampf für die gemeinsamen Ziele den Lauf der Dinge verändern kann.

Wir stehen vor grossen Aufgaben, in der Schweiz und international. Die richtige Antwort der Linken auf den Rechtspopulismus liegt nicht im nationalen Rückzug. Sie liegt in der konsequenten Verteidigung der sozialen Interessen auch im nationalen Rahmen. Aber das Denken muss über den nationalen Rahmen hinausweisen. Daran zu erinnern ist heute besonders wichtig. Die Werte der Solidarität machen nicht an den Landesgrenzen halt.

Deshalb ist es zentral, uns am 1. Mai über die Auseinandersetzungen des Alltags hinaus über die grossen Ziele zu vergewissern. Die gewaltige Kraft der Solidarität. Im gewerkschaftlichen Zusammenschluss und darüber hinaus.

Es lebe die Solidarität. Es lebe der 1. Mai.