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30.11.2021

Blog

Keine neuen Steuergeschenke für den Finanzplatz!

Die Verrechnungssteuer soll teilweise abgeschafft werden – eine finanzpolitische Dummheit. Fünf Gründe sprechen dagegen.



Die Verrechnungssteuer gehört zu den ergiebigsten Steuern des Bundes. Das zeigt ein brandneuer, bisher leider nicht publizierter Bericht der Eidgenössischen Steuerverwaltung über die neuesten steuerpolitischen Entwicklungen. Die Verrechnungssteuer ist zusammen mit der Gewinnsteuer die Steuer, die sich in den letzten 15 Jahren am dynamischsten entwickelt hat. Weit dynamischer als die ordentlichen Einnahmen und als die Mehrwertsteuer. Die Verrechnungssteuer ist punkto Ergiebigkeit in den letzten 15 Jahren das Kontrastprogramm zur Mineralölsteuer, die tendenziell immer weniger abwirft. Und ausgerechnet diese ergiebige und bewährte Steuer soll jetzt weitgehend abgeschafft werden. Das ist schon finanzpolitisch eine Dummheit. Erst recht mit Blick auf die anspruchsvollen Herausforderungen der Covid-Krise für den Staatshaushalt.

Die Vorlage ist aus fünf Gründen abzulehnen.

Erstens: Was ist die Verrechnungssteuer? Die Verrechnungssteuer ist eine bewährte und äusserst produktive Erfindung des Steuerrechts. Sie verfolgt einen Sicherungszweck. Wer seine Einnahmen deklariert und korrekt versteuert, bekommt die Verrechnungssteuer wieder zurückerstattet. Wer die Einnahmen aber nicht deklariert und vor dem Fiskus versteckt, der kann sie auch nicht zurückfordern. Die Verrechnungssteuer belastet als Sicherungssteuer unter dem Strich also nur jene, die ihre Einnahmen nicht korrekt deklarieren und versteuern. Dass die Verrechnungssteuer so ergiebig ist und einen so wichtigen Teil der Bundeseinnahmen ausmacht, zeigt, wie effizient diese Steuer ist. Es ist doch unsinnig, mit der Teilabschaffung der Verrechnungssteuer ausgerechnet jene zu belohnen, die nicht korrekt deklarieren, und damit die Steuerunehrlichkeit zu begünstigen. Auf Kosten der Ehrlichen, zum Beispiel auf Kosten aller, die mit dem Lohnausweis veranlagt werden.

Zweitens werden die finanziellen Folgen dieser Steuersenkungsvorlage in der Botschaft bagatellisiert. Bei einem normalen Zinsniveau von 3 bis 4 Prozent wie vor der Finanzkrise betragen die Steuerausfälle 600 bis 800 Millionen Franken pro Jahr. Das sind die Zahlen der Eidgenössischen Steuerverwaltung. Ausfälle in dieser Grössenordnung dürfen wir nicht akzeptieren, erst recht nicht zugunsten jener finanzkräftigen Kreise, die ihre Einnahmen nicht korrekt deklarieren.

Drittens will man mit der Teilabschaffung der Verrechnungssteuer den Fremdkapitalmarkt und den Finanzplatz stärken. Aber braucht es das wirklich: eine weitere Stärkung und steuerliche Begünstigung unseres Kapitalmarkts? Der Schweizer Finanzplatz ist doch nicht unterkapitalisiert. Im Gegenteil. Wegen der massiven Kapitalüberschüsse und der enormen Kapitalzuflüsse auf unseren Finanzplatz stehen wir in der Schweiz vor der historisch einmaligen Situation, dass die Nationalbank diese Kapitalzuflüsse mit Negativzinsen bekämpfen muss, zum Schaden der Sparerinnen und Sparer in der Schweiz und zum Schaden unserer Altersvorsorge, eine Situation, die wir uns noch vor wenigen Jahren nicht hätten vorstellen können. Und mit einer Steuersenkung für den Kapitalmarkt verschärfen Sie dieses Übel der Überkapitalisierung noch. Unser Finanzplatz braucht keine zusätzliche steuerliche Stimulierung von Kapitalzuflüssen.

Und viertens, wenn schon, dann ist unser Finanzplatz nicht überbesteuert, sondern unterbesteuert. Und wenn Sie dem Finanzplatz schon weitere Steuergeschenke machen wollen, dann sollten Sie sich fragen, ob der Finanzplatz diese Geschenke verdient. Lassen Sie mich daran erinnern, in welchem Ausmass unser Finanzplatz in den letzten Jahren Steuerbussen bezahlt hat. Die Zeitung «Finanz und Wirtschaft» hat die UBS und die CS als eigentliche «Bussenmaschinen» bezeichnet. Bei der CS betrugen diese Bussen gemäss «Finanz und Wirtschaft» in zehn Jahren 8,5 Milliarden Franken, bei der UBS 7 Milliarden, alles für Steuervergehen und Geldwäscherei. Der CS droht aktuell eine Megabusse im Zusammenhang mit einer gewaltigen Korruptionsaffäre in Mozambique. Dies ganz abgesehen von der Greensill-Affäre, die das Asset-Management der CS Milliarden kosten kann. All das zeigt, dass es auf dem Schweizer Finanzplatz Handlungsbedarf gibt. Aber doch nicht durch eine staatliche Prämierung dieser Praktiken mittels neuer Steuersenkungen. Wenn sich unsere Grossbanken in Zukunft endlich rechtsstaatlich korrekt verhalten, dann trägt ihnen das x-mal mehr ein als die Steuersubvention bei der Verrechnungssteuer, die hier vorgeschlagen wird.

Eine fünfte Überlegung: Ein wichtiger Grundsatz der Steuerpolitik ist die Steuergerechtigkeit. Weshalb hat das Stimmvolk in den kürzlichen Referendumsabstimmungen Steuervorlagen aus diesem Haus verworfen, die Unternehmenssteuerreform und die Kinderabzüge? Weil diese Vorlagen die Grundsätze der Steuergerechtigkeit verletzt haben. Die Bevölkerung wird geplagt von hohen Krankenkassenprämien und Mieten. Sie hat ein Sensorium für die Steuergerechtigkeit. Glauben Sie im Ernst, dass Sie diese Abschaffung der Verrechnungssteuer für den Finanzplatz und die Konzerne in einer Referendumsabstimmung durchbringen werden, vor einem Stimmvolk, dessen Sparkonten und Bankguthaben weiterhin verrechnungssteuerpflichtig bleiben?

Wir stehen nicht nur finanzpolitisch, sondern auch steuerpolitisch vor anspruchsvollen Zeiten. Zu den finanzpolitischen Herausforderungen durch die Covid-Krise kommt ein internationales Umfeld, in dem mit den neuen Regeln der OECD für die Mindestbesteuerung zuerst einmal eine Standortbestimmung nötig wäre. Stattdessen soll hier mit der Teilabschaffung der Verrechnungssteuer zuerst wieder dem Finanzplatz einen Sonderwunsch erfüllt werden, ohne Rücksicht auf die Folgen und den Schaden. Getreu den Forderungen aus diesen Kreisen. Diese wünschen nach einer strategischen Roadmap vom letzten Jahr nichts weniger als eine «steuerliche Entfesselung» des Schweizer Kapitalmarkts, um die Botschaft des Bundesrates zu zitieren. Wie wenn der hier so gehätschelte schweizerische Finanzplatz steuerlich in Fesseln läge.

Neue fiskalische Privilegien für den Finanzplatz sind das letzte, das wir brauchen. Auch der Finanzplatz muss seinen Teil an den öffentlichen Lasten tragen. Die Teilabschaffung der Verrechnungssteuer steht quer in der Landschaft.