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3. März 2015

Blog

Der Zivilisationsbruch darf sich nicht wiederholen

Die Erinnerung an den Schutz von Jüdinnen und Juden durch albanische Familien ist für die Gegenwart wichtig. Rede zur Eröffnung der Ausstellung «Besa».

 

«Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen»: So lautet ein berühmtes Zitat von William Faulkner.

Die Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden durch die Nazis war das grösste Massenverbrechen in der an Katastrophen gewiss nicht armen europäischen Geschichte. Zu Recht wird das, was damals mitten in Europa passiert ist, als Zivilisationsbruch bezeichnet (Dan Diner).  

Was damals geschah, liegt kaum drei Generationen zurück. Aber schon wieder stehen die Lehren, die weltweit aus den Nazi-Verbrechen gezogen wurden, auf dem Prüfstand. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 war die Antwort auf die Menschheitsverbrechen der Nazis in einer universellen Perspektive. Und die Europäische Menschenrechtskonvention ihre Umsetzung auf europäischer Ebene. Verbunden mit der Möglichkeit, dass jeder einzelne Mensch sich auf die Menschenrechte berufen kann. Genau das wird jetzt wieder in Frage gestellt.

Menschenrechte sind elementar

Es gibt politische Vorstösse und jetzt sogar eine Volksinitiative, welche die Menschenrechte dem nationalen Recht unterordnen wollen. Nationale Bestimmungen, die den Menschenrechten widersprechen, sollen nach diesen Vorstellungen also den Menschenrechten vorgehen. Die Menschenrechte aber zeichnet es aus, dass sie nicht an den nationalen Grenzen Halt machen. Sie sind dem nationalen Recht übergeordnet. Die Menschenrechte kommen den Menschen zu, weil sie Menschen sind, und nicht, weil sie über eine bestimmte Staatsangehörigkeit, Herkunft oder Religionszugehörigkeit verfügen. So einfach, aber auch so elementar ist das. Müsste es sein. Diese Zusammenhänge werden uns in den kommenden Jahren stark beschäftigen.

Die Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden stellen, sind aber auch sonst hoch aktuell geblieben. Wie kann es sein, kaum drei Wochen ist es her, dass Luzerner Fussballfans in St.Gallen einen als orthodoxen Juden verkleideten Mann mit einer FC-St.Gallen-Schärpe vor sich her treiben und dem ersten St.Galler Staatsanwalt nichts Besseres einfällt, als diesen Vorgang als «Fasnachtsscherz» zu bezeichnen? Und die Verantwortlichen des FC Luzern als Reaktion auf die Diskussion in den Medien den Fotografen suspendieren, der die unglaublichen Vorkommnisse festgehalten hat, statt sich ernsthaft mit dem Verhalten eines Teils ihrer Anhänger zu beschäftigen? Eine Hetzjagd mag für jene, die hetzen und jagen, schon immer lustig, ein Scherz oder ein Spass gewesen sein. Für jene, die symbolisch oder real gejagt und gehetzt werden, also für die, die mit der Hetze gemeint sind, war und ist es das mit Sicherheit nicht. Eine antisemitische Hetze muss als das wahrgenommen, bezeichnet und bekämpft werden, was sie ist, nämlich als antisemitische Hetze, statt faule Ausreden zu suchen.

Widerstand ist immer möglich

Es geht bei dieser Ausstellung aber nicht einfach um aktuelle Fragestellungen. Mit der Erinnerung an den Schutz bedrohter Jüdinnen und Juden durch albanische Familien wird ein Stück Geschichte öffentlich gemacht, das auch ich selber bis zu dieser Ausstellung nicht kannte. Es zeigt, dass es auch unter der Herrschaft der Nazi-Diktatur und des Terrors Möglichkeiten gab, sich der mörderischen Politik der Vernichtung durch eine gelebte Praxis der Schutzgewährung zu widersetzen. Albanien war, was die Situation der Juden angeht, als kleines Land ein Gegenmodell zu den anderen osteuropäischen Ländern unter nationalsozialistischer Besatzung. Für die betroffenen Menschen war das lebensentscheidend.

Die Ausstellung zeigt eines der Beispiele der europäischen Widerstandsgeschichte. Es steht dafür, wie es gerade in existenziellen Situationen entscheidend darauf ankommt, wie sich die Gesellschaften, aber in erster Linie und ganz besonders die einzelnen Menschen verhalten. St.Gallen war selber ein Ort solchen Widerstands. Viele einfache Leute, wie in Albanien, aber allen voran der seinerzeitige Polizeihauptmann Paul Grüninger haben dazu beigetragen, dass in St.Gallen mehr von den Nazis verfolgte Menschen gerettet wurden als an anderen Orten in der Schweiz, wenn auch hier wie in Albanien viel zu wenige. Diese Zivilcourage, diesen Mut und diese Menschlichkeit gilt es in Erinnerung zu behalten. Menschen, die sich unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Weltanschauung, ihrer Religion für Bedrohte einsetzen, und dies auch dann, wenn sie dafür Risiken eingehen und Nachteile erleiden müssen: Das sind Botschaften an die nachgeborenen Generationen, die sich in ihrer Zeit an ihren Herausforderungen bewähren müssen. Die Beispiele stehen dafür, dass es immer auch Möglichkeiten gibt zu handeln, und dass sich der Zivilisationsbruch nicht wiederholen darf.