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14. September 2018

Blog

Eine Ausstellung auf Weltniveau

«The Humans» im Kunstmuseum St.Gallen ist eine Intervention in elementare Herausforderungen der Menschheit.



Allein in den ersten sieben Monaten dieses Jahres sind im Mittelmeer mehr als 1500 Flüchtlinge ertrunken. So meldet es das UN-Flüchtlingshilfswerk, das UNHCR. Und das, obschon die Zahl der Überfahrten und die Zahl der Flüchtlinge stark zurückgegangen ist. Die neue italienische Rechtsregierung verbietet Rettungsschiffen, italienische Häfen anzulaufen. Helferinnen und Helfer werden kriminalisiert. Salvini, Kurz und Orban feiern sich für ihre Hetze gegen Flüchtlinge. Weniger Flüchtlinge und mehr Tote: So lautet die makabre Bilanz.

Als ich angefragt wurde, an dieser Vernissage ein paar Worte zu sprechen, war mir noch nicht bewusst, welche brennende Aktualität diese neue St.Galler Ausstellung haben würde. Der Kurator Lorenzo Benedetti hat unter dem Titel «The Humans» zeitgenössische Interventionen versammelt, die gerade im Zusammenhang eine starke Verdichtung erzeugen. 

Der Ausgangspunkt der Ausstellung, das vor exakt 200 Jahren entstandene Bild «Das Floss der Medusa» von Théodore Géricault, erweist sich einmal mehr als äusserst produktiv. Wie vor ein paar Jahrzehnten schon in der «Ästhetik des Widerstands», dem Schlüsselwerk des Schriftstellers Peter Weiss. – Die physische Präsenz der Schiffbrüchigen war schon für die Zeitgenossen im 19. Jahrhundert schockierend. Das Bild hat seine Kraft behalten. Wegweisend bleibt die gewählte Perspektive, jene der verzweifelten Opfer. 

Die Arbeiten dieser Ausstellung sind zeitgenössische Interventionen mit den Mitteln heutiger Techniken. So unterschiedlich die Arbeiten sind, so klar ist der gemeinsame Bezug zu elementaren Herausforderungen der Menschheit. 

Beeindruckend ist zunächst die Arbeit der Künstlerin Rossella Biscotti. Sie vermisst das Mittelmeer unter verschiedensten Aspekten. Das Meer ist kein leerer Raum, sondern war und bleibt ein dicht genutzter Ort. Unter den verschiedenen Karten sticht die Skizze eines Flüchtlings über seinen Fluchtweg heraus. Ein Ölbohrturm als Orientierungspunkt illustriert, wie nahe die Dinge liegen. 

Der polnische Künstler Artur Zmijewski erzeugt mit seinen Fotos – sie zeigen die Vermessung von Migranten mit Messinstrumenten früherer Zeiten – eine eigenartige Verfremdung. Denn platziert sind die zunächst klassisch anmutenden Fotos in die Realität der europäischen Grossstadt der Jetztzeit. 

Francesco Arenas Skulpturen sind auf den ersten Blick abstrakter. Aber nur auf den ersten Blick. Die Arbeiten visualisieren nichts anderes als die Zahl der Schritte von Fluchtorten wie Syrien bis Bodrum, nach Budapest oder nach München. Die Arbeiten machen bewusst, wie elementar für Hunderttausende, ja Millionen von Flüchtlingen die zeitlose Fortbewegung zu Fuss geblieben ist. Die Arbeiten sind also nur auf den ersten Blick abstrakt. Sie offenbaren konkrete Wahrheiten. 

Die Videoarbeit der Peruanerin Daniela Ortiz lässt hautnah nachvollziehen, was das Sedieren, sprich Ruhigstellen von Menschen mittels gespritzter Medikamente vor ihrer Ausschaffung konkret bewirkt. 

Eine enorme Präsenz in der Ausstellung haben die Arbeiten der Videokünstlerin Candice Breitz. Die südafrikanischen Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter stehen nicht nur für ihren prekären Status. Ihre Fragen und Positionen haben eine universelle Dimension. Die Videoarbeiten unterstreichen die Würde dieser Menschen. Sie wird durch die eindrückliche Choreografie der künstlerischen Präsentation unterstrichen. 

Die Installation von Ed Atkins und Simon Thompson mit der stummen Übertragung von Sky News zeigt schliesslich, mit welcher unglaublichen Flut von Informationen wir heute konfrontiert sind. Und es am Schluss doch entscheidend ist, wie wir diese Informationen filtern und lesen. 

Wer die Ausstellung «The Humans» besucht, braucht Zeit. Wer sich diese Zeit nimmt, kann aber Erfahrungen machen, die bleiben. Das spricht für die hohe Qualität der gezeigten Arbeiten. 

Museen sind zu wichtigen Orten der Reflexion und des Verweilens geworden. Und damit eine Hilfe bei der Orientierung vor grossen Fragestellungen. Beispielsweise dann, wenn wir in wenigen Monaten in der Schweiz politisch darüber zu entscheiden haben, welchen Stellenwert die Menschenrechte für uns in Zukunft haben sollen. 

Und wenn ich hier schon spreche, dann möchte ich wieder einmal meine Anerkennung der grossartigen Arbeit unseres Kunstmuseums zum Ausdruck bringen. Oder sagen wir es frech: Dem Kunstmuseum St.Gallen ist wieder eine Ausstellung auf Weltniveau gelungen. Mit künstlerischen Arbeiten und Fragestellungen, die in ihrer Verdichtung die grossen Probleme unserer Zeit akut thematisieren. Urbanität im besten Sinne des Wortes. Und das mit einem Budget, das hinter denen anderer Häuser weit zurückbleibt. 

Dafür danke ich Lorenzo Benedetti und Roland Wäspe. Und natürlich den beteiligten Künstlerinnen und Künstlern.


Diese Rede wurde an der Vernissage der Ausstellung «The Humans» im Kunstmuseum St.Gallen gehalten.