Der aktualisierte Verteilungsbericht des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds vom Juli 2016 macht deutlich, wohin sich die Schweiz in den letzten Jahren einkommens- und vermögenspolitisch entwickelt hat. Zwar konnten dank aktiven Gewerkschaften und vor allem dank der Mindestlohnkampagne im Bereich der tieferen Löhne Fortschritte erreicht werden, die sich auch im internationalen Vergleich sehen lassen. Insgesamt haben die hohen und höchsten Einkommen aber in einem besorgniserregenden Ausmass zugelegt. Die Steuer- und Abgabenpolitik der öffentlichen Hand hat diese schlechte Tendenz nicht etwa gebremst, sondern sogar noch unterstützt.
Gleichzeitig hat sich die bereits ausgeprägte Konzentration der Vermögen noch verschärft. Die reichsten 2.1% der Bevölkerung besitzen inzwischen so viel wie die anderen 97.9%. Das sind bei Licht besehen bald wieder feudalistische Zustände.
Ein zentraler Faktor der kritischen Einkommensentwicklung für eine Mehrheit der Bevölkerung ist die Entwicklung der Krankenkassenprämien. Sie werden immer mehr zur unsozialen Kopfsteuer, welche die Haushalte mit tieferen und mittleren Einkommen übermässig belasten. Die Prämienentwicklung eilt seit nunmehr 20 Jahren der Entwicklung der Löhne, aber auch jener der Prämienverbilligungen, weit davon. Das Mitte der neunziger Jahre deklarierte Ziel, dass die Krankenkassenprämien 8% des steuerbaren Haushaltseinkommens nicht übersteigen sollten, rückt für immer mehr Haushalte in immer weitere Ferne. Während Haushalte mit einem Monatseinkommen von über 20‘000 Franken von der Prämienentwicklung nicht viel spüren, wird sie für die grosse Mehrheit zunehmend zu drückenden Last.
In einem ersten Schritt muss jetzt das Ziel formuliert werden, dass niemand für die Krankenversicherung mehr als 10% seines Einkommens ausgeben müssen soll. Der Kanton Waadt will bei der Realisierung dieses Ziels vorangehen. Für die Realisierung dieses Ziels in der ganzen Schweiz müssten Bund und Kantone die Prämienverbilligungen um rund 2 Milliarden Franken pro Jahr aufstocken. Für die Stärkung der Kaufkraft der Mehrheit der Bevölkerung wäre das eine sehr lohnende Investition.
Trotz drückender Prämienlast will der Bundesrat den Beitrag an die steigenden Prämien aber nicht erhöhen, sondern im Rahmen des neuen Sparpakets gar noch um 75 Millionen Franken jährlich senken. Das würde die Probleme der Einkommensverteilung noch verschärfen, statt sie zu lindern. Dieser Abbau der Gelder für die Prämienverbilligung geht vollkommen in die verkehrte Richtung und muss deshalb gestoppt werden.
Zentral für die Einkommensentwicklung sind und bleiben die Löhne. Die SGB-Verbände werden die Lohnforderungen für 2017 im September präsentieren. Ausgehend von der Ungleichentwicklung bei den Einkommen muss aber schon heute unterstrichen werden, dass es wieder mehr generelle Lohnerhöhungen und überhaupt eine Stärkung der Gesamtarbeitsverträge braucht. Der durch den überbewerteten Schweizer Franken verstärkte Lohndruck in verschiedenen Branchen muss durch einen konsequenteren Vollzug der flankierenden Massnahmen zum Schutz der Löhne aufgefangen werden, woran es heute an verschiedenen Orten krankt.
Die kurzfristig wirksamste Massnahme für eine gerechtere Einkommensverteilung ist ein Ja zur Volksinitiative AHVplus. Sie verlangt eine Erhöhung der AHV-Renten um 10%. Diese Rentenverbesserung dient nicht nur den Älteren, sondern vor allem auch den Jüngeren. Denn es sind die heute Erwerbstätigen, die unter den sinkenden Renten der Pensionskassen am meisten leiden. Kompensiert werden können diese Rentenverluste bei der 2. Säule realistischer Weise nur durch eine Verbesserung der AHV-Renten. Sie weisen im Vergleich zu allen anderen Formen der Altersvorsorge ein ausgezeichnetes Preis-/Leistungsverhältnis auf. Ohne die AHV-Renten und ihre Verbesserung müssten die Jüngeren für ihre Altersvorsorge viel mehr Geld auf die Seite legen.
Der Verteilungsbericht 2016 zeigt auf, wie rentabel die AHV für Alleinstehende bis zu einem Jahreseinkommen von rund 150‘000 Franken und für Verheiratete bis zu einem Einkommen von rund 250‘000 Franken ist. Für die hohe Rendite für alle mit unteren und mittleren Einkommen ist nicht nur die solidarische Finanzierung mit gegen oben unbeschränkter Leistungspflicht und plafonierten Renten verantwortlich. Sondern auch der leistungsfähige Finanzierung über das Umlageverfahren ohne Umweg über die Kapitalmärkte.
Die Zahlen des Verteilungsberichts machen übrigens auch deutlich, weshalb eine Rentenerhöhung der AHV um 10% im Sinne der Volksinitiative AHVplus nicht nur für die Aktiven, sondern auch für die heutigen Rentnerinnen und Rentner nötig ist. Die ständig höheren Krankenkassenprämien und überhaupt die Ausgaben für die Gesundheit laufen den Renten immer mehr davon. Besonders krass wird das für das kommende Jahr, wo eine angekündigte Erhöhung der Krankenkassenprämien um rund 5% einer Nullrunde bei den AHV-Renten gegenübersteht, die es in der Geschichte der AHV überhaupt noch nie gegeben hat. Die Minderheit gutsituierter Rentnerinnen und Rentner mag das vielleicht nicht stören. Die Mehrheit der Rentenbezüger, die sich im Rentenalter mit einer starken Einkommenseinbusse bei ähnlichen Kosten wie früher konfrontiert sehen, dagegen schon. Die Einkommensunterschiede vergrössern sich im Rentenalter regelmässig noch.
Die AHV steht wie keine andere schweizerische Institution für ein Stück Ausgleich und Solidarität gegen die Gefahr zunehmender Ungleichheit. Auch deshalb muss sie wieder gestärkt werden.
Den SGB-Verteilungsbericht 2016 finden Sie hier.
13. Juli 2016
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Für eine gerechtere Verteilung
Die wirksamsten Massnahmen gegen die Ungleichheit: Eine generelle Lohnrunde für 2017, nicht mehr als 10% des Einkommens für Krankenkassenprämien und vor allem: am 10. September ein Ja zu AHVplus.