Das Gute vorweg: Der Bundesrat hat jetzt entschieden, die Massnahmen für wirtschaftlich bedrohte Selbständigerwerbende weiterzuführen und in der Arbeitslosenversicherung Härtefälle durch drohende Aussteuerungen zu vermeiden. Und die Kurzarbeit zur Vermeidung von Entlassungen soll weiterhin greifen, indem die Höchstbezugsdauer von 12 auf 18 Monate ausgedehnt wird.
Mit diesen Beschlüssen knüpft der Bundesrat wieder an die entschlossenen und wirksamen Massnahmen zu Beginn der Corona-Krise an. In der Zwischenzeit war er, erschrocken über seinen wirtschafts- und sozialpolitischen Mut, schwer aus der Spur geraten. Vor allem der Wirtschaftsminister und der Bundeskanzler traten stark auf die Bremse. Umso positiver sind die neuen Beschlüsse zu werten. Denn in vielen Branchen ist die Wirtschaftskrise alles andere als ausgestanden.
Im Schatten dieser positiven Beschlüsse droht allerdings eine bisher nicht thematisierte staatspolitische Fehlentwicklung mit unabsehbaren Konsequenzen. Wie die vor kurzem eröffnete Vernehmlassung zum Covid-19-Gesetz zeigt, beantragt der Bundesrat für die Weiterführung der notrechtlichen Massnahmen bis Ende 2022 im Wesentlichen eine Kompetenzdelegation an sich selber. Unverkennbar zeigt sich wieder die Handschrift des Bundeskanzlers: Die Entscheide sollen, jetzt einfach gestützt auf eine Vollmacht des Parlaments, durch die Exekutive getroffen werden.
Damit wird die Vorlage aber verfassungsrechtlich hoch problematisch. Die Bundesverfassung sagt ausdrücklich, dass alle wichtigen gesetzgebenden Entscheide in der Form eines Bundesgesetzes zu erlassen sind (Art. 164). Kompetenzdelegationen sind nur in diesem Rahmen zulässig. Sogenannte Blankovollmachten sind ausgeschlossen. Denn Blankovollmachten an den Bundesrat hebeln die Gewaltenteilung aus. Auch die Volksrechte sind betroffen: Nur gegen Bundesgesetze kann ein Referendum ergriffen werden.
Diese Grundsätze über die Gewaltenteilung sind staatspolitische Lehren aus dem sogenannten Vollmachtenregime von 1939. Damals regierte der Bundesrat während rund zehn Jahren gestützt auf Vollmachten. Er wollte damit auch nicht aufhören, als der zweite Weltkrieg längst beendet war - so gut gefiel ihm die neu gewonnene Macht. Der Bundesrat ist aber nicht der Gesetzgeber, sondern das Parlament.
Die Gewaltenteilung im Sinne der Verfassung wird allerdings nur gelebt, wenn das Parlament als oberste Gewalt im Staat bereit ist, seine verfassungsmässigen Aufgaben auch wahrzunehmen. Aus dem Tritt geraten war das Parlament vor der dritten Woche der Frühjahrssession, als die Ratsbüros Hals über Kopf den Sessionsabbruch beschlossen und das Parlament mitten in der Krise aus dem Rennen nahmen. Erst eine grosse Mehrheit der kleinen Kammer von 32 Ständeräten sorgte dafür, dass das Parlament wieder zu tagen begann. Aber als zum Schluss der Sommersession die Fraktionen von SP und Grünen im Nationalrat eine kurze ausserordentliche Session zur Behandlung von Vorstössen zur Krisenbekämpfung verlangten, war es erneut das Büro des Nationalrates, das dieses verfassungsmässige Recht von einem Viertel eines Rates ad absurdum führte, indem es eine Verschiebung der Debatte in den Herbst hinein beschloss.
In der schweizerischen Demokratie darf es keine Rückkehr zu einem Vollmachtenregime geben. Die Aufgabe der Gesetzgebung liegt auch in der Covid-19-Krise beim Parlament. Das Parlament muss deshalb bereit und in der Lage sein, in allen wichtigen Fragen gesetzgeberisch tätig zu sein. Dafür muss es sich in Zukunft so organisieren, dass es seinen verfassungsmässigen Aufgaben auch in Krisenzeiten jederzeit nachkommen kann. Wenn nötig mit ausserordentlichen Sessionen.