Die Steuergerechtigkeit und die Bekämpfung der Ungleichheit gehören zusammen mit dem Kampf gegen die drohende Klimakatastrophe zu den grossen politischen Fragen des 21. Jahrhunderts.
Jede steuerpolitische Vorlage muss sich daran messen lassen, ob sie die Steuergerechtigkeit verbessert, oder ob sie die Steuerungerechtigkeit erhöht.
Gemessen daran schneidet die Volksinitiative «Löhne entlasten – Kapital gerecht besteuern (99%-Initiative)» der Juso sehr gut ab. Sie verlangt, dass Kapitaleinkommen, das einen bestimmten Betrag übersteigt, im Umfang von 150 Prozent besteuert wird.
Niemand kann bestreiten, dass sie die Steuergerechtigkeit verbessern würde. Und sie würde die Ungleichheit bekämpfen, müssten doch die zusätzlichen Einnahmen aus der Besteuerung der Kapitaleinkünfte den Leuten mit tiefen und mittleren Arbeitseinkommen zugutekommen. Oder dem Sozialstaat.
Es gibt gute Gründe dafür, Kapitaleinkünfte ab einem gewissen Betrag höher zu besteuern als Arbeitseinkommen. Denn Arbeitseinkommen sind sozialversicherungspflichtig – das fehlt bei den Kapitaleinkünften. Solange es hier keinen Ausgleich gibt, drängt sich ein höherer Steuersatz auf.
In der heutige Realität bestehen allerdings zahlreiche Privilegien bei der Besteuerung des Kapitals, die gerade im Vergleich mit den Arbeitseinkommen nicht zu rechtfertigen sind. Das beginnt bei der Teilbesteuerung der Dividenden. Zudem sind private Kapitalgewinne abgesehen von Grundstückgewinnen nach wie vor steuerfrei. Ein Zustand, der nach der Logik der Besteuerung aller relevanten Einkommen unabhängig von der Quelle unhaltbar ist.
Dazu kommt, dass die Steuerungerechtigkeit bei der Besteuerung des Kapitals in den letzten Jahren noch grösser geworden ist. Beispielsweise durch die Unternehmenssteuerreform II, die die steuerfreie Rückzahlung von Kapitaleinlagereserven in Milliardenhöhe ermöglichte. Mit dieser Vorlage hatte der seinerzeitige Bundesrat Merz das Stimmvolk irregeführt. So lautete das unmissverständliche Verdikt des Bundesgerichts.
Sicher kennt das Schweizer Steuersystem heute auch Elemente, die unter dem Aspekt von Steuergerechtigkeit und Bekämpfung der Ungleichheit sehr gut abschneiden. Allem voran gilt das für die direkte Bundessteuer mit ihrer Progression und für die Vermögenssteuer. Auch wenn diese als Folge von Steuersenkungen in einigen Kantonen inzwischen bedenklich tief ist. Insgesamt spielt sie aber auf der Ebene der Kantone immerhin 7,3 Milliarden Franken ein.
Neben diesen progressiven Steuern gibt es aber auch solche, die degressiv wirken. Also die tiefen und mittleren Einkommen ungerechterweise mehr belasten. Dies ist bei der Mehrwertsteuer der Fall, trotz des Sondersatzes für den Grundbedarf. Für die grosse Mehrheit mit tieferen und mittleren Einkommen ist die Wirkung der Mehrwertsteuer verteilungspolitisch nur positiv, wenn sie für die Sozialversicherungen eingesetzt werden. Allem voran für die AHV.
Krass degressiv, sprich ungerecht, wirken die Krankenkassenprämien, allen Korrektiven zum Trotz. Krankenkassen sind Kopfsteuern, die für Reichere und Ärmere gleich hoch sind, und damit die tieferen und mittleren Einkommen viel mehr treffen. Kopfsteuern sind nicht nur ungerecht. Sie sind auch anachronistisch. Die Abschaffung der Kopfprämien zugunsten einer gerechteren Finanzierung hätte bei Korrekturen im Abgabesystem die mit Abstand beste Wirkung.
Kommen wir zur Juso-Initiative zurück. Diese stellt mit einem höheren Steuersatz für Kapitaleinkünfte Grundsatzfragen in der Logik der Steuergerechtigkeit. Damit verdient sie Unterstützung. Wie wollen Sie erklären, dass jeder Lohnfranken voll versteuert werden muss, zuzüglich Sozialversicherungen, die Kapitaleinkünfte aber steuerlich privilegiert sind? Das geht nicht auf.
Wir stehen somit wieder einmal an einem Punkt, an dem sich entscheidet, wie es steuerpolitisch weitergehen soll. Auf der einen Seite stehen hier im Parlament etwa mit der Abschaffung des Eigenmietwerts oder der Abschaffung der Stempelsteuer politische Begehren im Raum, die Hauseigentümer oder den Finanzplatz mit neuen Privilegien beglücken. All diese Wünsche würden die Steuerungerechtigkeit noch erhöhen. Oder aber wir entscheiden uns, endlich wieder in die Gegenrichtung zu gehen. In die Richtung von mehr Gerechtigkeit auch bei den Steuern.
Das ist die akute Frage, die sich heute stellt. Gerade in Zeiten von Corona, wo der Staat Summen wie noch nie stemmen muss. Die hohen Einkommen und die Reichen, die in den letzten Jahrzehnten Jahren nur profitiert haben, bei den Einkommen, bei den Vermögenszuwächsen und bei den Steuern, müssen endlich wieder einen grösseren Beitrag zu den allgemeinen Lasten leisten. Damit vertragen sich aber die heutigen Privilegien bei der Besteuerung des Kapitals definitiv nicht mehr.
Noch ist die Corona-Krise nicht bewältigt. Aber verteilungspolitisch sehen wir schon heute, wie stark diese Krise die Ungleichheit verschärft. Menschen mit tieferen Einkommen sind nach einer Studie der KOF-ETH von letzter Woche mit Einbussen von rund 20 Prozent konfrontiert, obwohl es bei ihnen finanziell sowieso schon eng ist. Leute mit hohen Einkommen haben demgegenüber mehr denn je zur Verfügung. Und die Börsen boomen. Umso berechtigter ist die Forderung der Initiative gerade zum heutigen Zeitpunkt.
Werfen wir noch einen Blick auf die Weltebene. Emmanuel Saez und Gabriel Zucman haben in ihrem brillanten Buch über Steuern und Ungleichheit im 21. Jahrhundert mit dem Titel «Triumph der Ungerechtigkeit» herausgearbeitet, wie stark sich die globale Steuerpolitik der letzten Jahrzehnten an den Reichen und ihren Interessen orientierte. Das Mittel war der Steuerwettbewerb mit dem Ziel der Steuersenkungen insbesondere für die Eigentümer grosser Kapitalien. Umso überfälliger ist eine steuerpolitische Wende zu mehr Steuergerechtigkeit geworden.
Symbolische Spitze der steuerpolitischen Fehlentwicklung der letzten Jahrzehnte war US-Präsident Donald Trump. Trump brüstete sich damit, als Milliardär keine Bundessteuer bezahlt zu haben. Das zeige doch nur, wie smart er sei. Getreu nach dem Motto, dass Leute, die wirklich reich sind, keine Steuern mehr bezahlen.
Aber: Trump ist nun Geschichte. Auch der Sturm aufs Kapitol hat ihm nicht geholfen. Genauso Geschichte sollten die steuerpolitischen Fehlentwicklungen werden, für die er steht. In den USA, weltweit, auch in der Schweiz.
Zum Schluss: Erinnern wir uns an Finanzminister Stich. Bundesrat Otto Stich, den langjährigen Wächter unserer Bundeskasse. Otto Stich war in den 1970er- Jahren, ein paar Jahre vor seiner Wahl in den Bundesrat, Vater der Initiative für eine Reichtumssteuer.Formell hiess diese Initiative «Initiative zur stärkeren Besteuerung des Reichtums und zur Entlastung der unteren Einkommen». Das müsste Ihnen im Zusammenhang mit der Juso-Initiative bekannt vorkommen.
Die Reichtumssteuer-Initiative machte an der Urne fast 45 Prozent Ja-Stimmen. Auch wenn sie nicht durchkam, prägte sie den politischen Diskurs in eine steuerpolitisch positive Richtung. Lassen Sie uns mit der Initiative «Löhne entlasten – Kapital gerecht besteuern» wieder beim bewährten Otto Stich anknüpfen.