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4. Mai 2020

Blog

Verantwortung in Zeiten von Corona

Was wir in der Krise der Corona-Pandemie erleben, ist eine bisher nicht dagewesene Erfahrung für die heute lebenden Generationen. Eine Zwischenbilanz.

corona


Krisenzeiten sind exekutiv geprägte Zeiten. Wir dürfen feststellen, dass der Bundesrat in dieser Krise über alles gesehen auf der Höhe seiner Aufgabe war und im richtigen Moment zur Hochform auflief. 


Das gleiche kann man vom Parlament leider nicht sagen. Der Hals-über-Kopf-Abbruch der Frühlingssession durch die Ratsbüros ist ein Tiefpunkt der Parlamentsgeschichte unseres Landes. Der Abbruch erfolgte gegen die Intervention der Präsidenten der Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit beider Räte mit Blick auf wichtige Geschäfte, die abschlussreif gewesen wären. Und es gibt schwer zu denken, wenn der Abbruch der Session auch noch mit einer angeblichen Vorbildrolle des Parlaments begründet wurde, wie wenn das Parlament eine x-beliebige entbehrliche gesellschaftliche Veranstaltung wäre, während man von den Frauen und Männern in wichtigen Institutionen wie den Spitälern, im öffentlichen Verkehr oder bei der Post selbstverständlich erwartete, dass sie ihre Arbeit weiterhin leisten. Die Rolle des Parlaments muss im Nachgang zu dieser Krise mit der nötigen Selbstkritik aufgearbeitet werden. Es kann nicht sein, dass die Ratsbüros das Parlament aus dem Stand in seinem verfassungsmässigen Funktionieren einfach aushebeln können. 

Immerhin war es nachher der Ständerat, d.h. die grosse Mehrheit seiner Mitglieder, der mit dem Antrag auf diese ausserordentliche Session den verfassungsmässigen Zustand wiederhergestellt hat.

Wenn wir zur Corona-Pandemie eine kurze Zwischenbilanz ziehen, können wir positiv feststellen, dass die Schweiz über ein funktionierendes Epidemiengesetz auf der Höhe der Zeit verfügt. Und über Behörden vom Bundesamt für Gesundheit bis zum Bundesrat, die auch bereit und in der Lage sind, ihre gesetzlichen Aufgaben wahrzunehmen. - Was schlechter geklappt hat, ist die konkrete Pandemievorsorge vor der Krise, wo es zwar einen Plan, aber keine Umsetzung gab. Die Landesversorgung war in diesem Bereich nicht im Ansatz auf der Höhe ihrer Aufgabe. Hier braucht es für die Zukunft einen fundamentalen Neustart, von der Medikamentenversorgung bis hin zur Versorgung mit anderen elementaren Gütern. 

Grundsätzlich neue Überlegungen sind auch in der Gesundheitspolitik nötig: weg von der Ökonomisierung und auch weg von der Politik forcierter Spitalschliessungen. Der Service-Public-Charakter des Gesundheitswesens muss gestärkt werden. Und die beeindruckende Wertschätzung der Leistungen des Pflegepersonals muss einen konkreten politischen Ausdruck finden. Die Behandlung der Pflegeinitiative und des Gegenvorschlags dazu in der kommenden Juni-Session ist der Zeitpunkt für den Tatbeweis.

Einmal mehr hat sich in dieser Krise gezeigt, dass ein starker Service Public auch das Rückgrat dafür ist, dass die Schweiz funktioniert. Nicht nur im Gesundheitswesen, sondern auch in der Logistik bis hin zur Telekommunikation. Wir wissen wieder, was wir an starken Bundesunternehmen wie der Post und Swisscom haben. Im öffentlichen Verkehr werden wir dafür sorgen müssen, dass er nach der Krise wieder die Rolle spielt, die die Lebensqualität der Schweiz ausmacht.

Und wir wissen es zu schätzen, dass der Bundesrat die verfassungsmässige Aufgabe der Krisenbekämpfung beherzt in die Hand genommen hat, was in einem ersten Schritt nicht anders als über Notrecht möglich war. Dass inzwischen für 1,9 Millionen Arbeitende Kurzarbeit angemeldet wurde, zeigt die enormen und bis vor kurzem unvorstellbaren Dimensionen des wirtschaftlichen Einbruchs. Nach der notdürftig überwundenen ersten Welle der Pandemie muss nun alles daran gesetzt werden, dass es nicht zu einer Massenarbeitslosigkeit kommt. Das Produktionspotenzial der Wirtschaft muss erhalten und die Menschen dürfen nicht in die Arbeitslosigkeit gestossen werden. Und wen es trotzdem trifft, der darf nicht allein gelassen werden. Aussteuerungen müssen verhindert werden. Die Bewältigung der Krise misst sich am Auffangnetz für die Schwachen und die Schwächsten. 

Der Sozialstaat, der Leistungsstaat, der Interventionsstaat sind gefordert wie seit langem nicht mehr. Die soziale Sicherheit, die Sozialversicherungen und die Sozialwerke sind das Rückgrat der sozialen Schweiz. Sie müssen gestärkt statt geschwächt werden. Die Krise zeigt: Es gibt keine Alternative dazu.

Der Schweizer Staat ist in einer Verfassung, dass er zu diesen Interventionen fähig ist. Bei der Finanzierung dieser Interventionen muss alles vermieden werden, was die Krise verschärfen würde. Negativzinsen sind in verschiedener Hinsicht eine schwierige Sache, zum Beispiel für die Pensionskassen. Für die Finanzierung der in der Grössenordnung neuartigen Staatsinterventionen gegen die Krise sind sie ein Glücksfall: Der Staat, der sie finanziert, bekommt noch Geld dafür, dass er interveniert. 

Gerade weil das staatliche Handeln in der Krise stark nationalstaatlich geprägt ist, bleibt es aber wichtig, uns auch der internationalen Zusammenhänge bewusst zu bleiben. Die Corona-Pandemie führt uns wie kaum eine Krise zuvor vor Augen, dass wir eine einzige Menschheit sind. Und dass das Jeder-gegen-Jeden weder im gesellschaftlichen Leben noch in den internationalen Zusammenhängen das Rezept sein kann. Ein aktuelles Beispiel: Wenn es keine WHO gäbe, müsste man sie erfinden. Die Schweiz täte gut daran, die Weltgesundheitsorganisation gerade jetzt zu stärken, wo sie so stark unter Druck geraten ist. Nicht nur weil sie ihren Sitz in Genf hat. Sondern weil sie unentbehrlich ist.

Zum Schluss: Die erste Phase der Corona-Krise war durch die ausserordentlichen gesundheitspolizeilichen Kompetenzen des Bundesrates nach dem Epidemiengesetz und durch das Notrecht im Bereich der wirtschafts- und sozialpolitischen Interventionen geprägt. Jetzt kommt die Phase, wo das Parlament als oberste Gewalt im Staat wieder massgebend wird: Bei der Überführung der notrechtlichen Interventionen in ordentliches Recht wie überhaupt für Massnahmen, die dafür sorgen, dass die Folgen der Krise die Menschen nicht mit aller Härte treffen. 

Wie auch für die nötigen Schlussfolgerungen aus der Pandemie. Die gegenwärtige Lage ist nach wie vor labil, und wir wissen nicht, welche Herausforderungen die Zukunft für uns noch bereithält. Aber wir sind dafür gewählt, unsere Verantwortung wahrzunehmen. Die Politik, verantwortliche politische Entscheide, die sich am Gemeinwohl orientieren, sind so wichtig wie schon lange nicht mehr.