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14. Dezember 2017

Blog

Rechtsstaatlichkeit gewährleisten!

Der Ständerat möchte die Observation bei den Sozialversicherungen so ausbauen, dass die eingesetzten Mittel sogar über die des Strafrechts hinausgehen.

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Dass der Missbrauch beim Bezug von Sozialversicherungsleistungen bekämpft werden muss, wie überhaupt ein Missbrauch bei der Inanspruchnahme staatlicher Leistungen, ist ein unbestrittenes Anliegen. Ebenso unbestritten ist es, oder sollte es sein, dass die Missbrauchsbekämpfung unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze erfolgen muss.

Leider ist das beim Gesetzesentwurf, den die vorberatende Kommission jetzt vorlegt, nicht der Fall. Einmal mehr ist es bei einer so heiklen Materie ein Nachteil, wenn die Kommission selber einen Gesetzesartikel entwickelt, statt eine Vorlage des Bundesrates abzuwarten. Und kein Vorteil war es, dass es nicht die für solche gesetzgeberischen Vorhaben normalerweise zuständige Rechtskommission war, die den neuen Artikel entwickelt hat.

Wir haben Ende letzter Woche einen Brief von vier Staats- und Sozialversicherungsrechtsprofessoren erhalten, die uns davor warnen, den Observationsartikel so zu verabschieden, wie er jetzt vorliegt. Und erst vor zwei Tagen ist ein ausführlicher Aufsatz von Prof. Gächter von der Universität Zürich erschienen, der die rechtsstaatlichen Mängel der vorgeschlagenen Lösung im Einzelnen aufzeigt.

Denn die vorgeschlagene Lösung schiesst weit über das Ziel hinaus. Angefangen beim Gegenstand der Observation. Es sind nicht nur wie im Strafrecht die allgemein zugänglichen Orte, sondern alles, auch Vorgänge im Geheim- und Privatbereich, die von öffentlichen Orten einsehbar sind. Und bei den Mitteln der Überwachung kommen zu den bisher zugelassenen Bildaufnahmen nun auch Tonaufzeichnungen und technische Geräte zu Standortbestimmung hinzu, sogenannte GPS-Tracker. Was die Kommissionsmehrheit vorschlägt, geht sowohl inhaltlich wie auch bei den Mitteln weit über das Strafrecht hinaus. Da ist unabhängig vom legitimen Anliegen der Missbrauchsbekämpfung etwas aus dem Lot geraten.

Wenn man das nüchtern beurteilen will, dann muss man sich den Unterschied der Missbrauchsbekämpfung zum Strafrecht vor Augen halten. Immer dann, wenn der begründete Verdacht auf einen Straftatbestand besteht, zum Beispiel auf Versicherungsbetrug, dann muss der Sozialversicherer Strafanzeige machen. Das verlangt schon das Offizialdelikt. Die Sozialversicherung darf dann nicht die Augen zudrücken und auf eine Strafanzeige verzichten.

Wenn aber Strafanzeige erstattet ist, dann stehen den Strafuntersuchungsbehörden alle teilweise sehr einschneidenden Mittel des Strafverfahrens zur Verfügung, bis hin zur Telefonüberwachung. Das Gegenstück dazu sind die Verteidigungsrechte, die dafür sorgen, dass jemand nicht unschuldig verurteilt wird.

Die Observation im ATSG kommt zur Anwendung, wenn es keinen oder noch keinen Grund dafür gibt, eine Strafanzeige einzureichen. Wir sind hier in einem vorgelagerten Bereich des Strafrechts, einem Bereich der Prävention, in dem die missbräuchliche Inanspruchnahme von Sozialversicherungsleistungen verhindert werden soll. In diesem vorgelagerten Bereich verlangen es aber sowohl der Grundrechtsschutz wie auch das Verhältnismässigkeitsprinzip, dass die eingesetzten Mittel nicht so weit gehen können wie das Strafrecht. Und schon gar nicht ohne richterliche Genehmigung. Denn der Grundrechtsschutz und die Verhältnismässigkeit sind Verfassungsprinzipien, die auch im Sozialversicherungs- und im Sozialhilferecht Anwendung finden müssen.

Somit muss der Artikel im ATSG über die Observation auf ein grundrechtsverträgliches und rechtsstaatlich vertretbares Mass zurückgestutzt werden. Sonst wird aus dem, was der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Oktober 2016 verlangt hat, das Gegenteil. Rechtstaatlich nämlich schlechter, als es vorher war.

Eine letzte Überlegung: Erst zwei Tage ist es her, seit gegenüber Steuerdelinquenten jede Verschärfung der staatlichen Mittel abgelehnt worden ist, mit dem Ergebnis, dass die Behörden im internationalen Verhältnis besser informiert sind als unsere kantonalen Steuerbehörden. Dieser Kontrast - Augen zu bei den Steuern, aber grösstmögliche Härte in den Sozialversicherungen – offenbar eine gespaltene Rechtsstaatlichkeit, die für unser Land nichts Gutes verheisst. Denn noch immer ist der Grundsatz der Rechtsgleichheit einer unserer wichtigsten Verfassungsgrundsätze.